Wortlos
Die Galerie Klatovy / Klenová, die vom Pilsner Bezirk mitfinanziert wird, lädt in Zusammenarbeit mit der Ladislav-Sutnar-Fakultät für Design und Kunst der Westböhmischen Universität, dem Centrum Bavaria Bohemia (CeBB) in Schönsee, dem Verein Comicmuseum Erlangen e. V. und dem Tschechischen Zentrum München herzlich zur Ausstellung „Wortlos“ ein, die die Ergebnisse des deutsch-tschechischen Comicsymposiums präsentiert, das vom 25. bis zum 29. August 2025 in Klenová stattfand.
Teilnehmende Künstler:
- Helena Baumeister
- Gregor Hinz
- Maximilian Hrstka
- Martin Schütz
- Kristýna Škoumalová
- Ttereza Šíklová
- Burcu Türker
- Barbora Voštíková
- Moritz von Wolzogen
Kuratoren:
- Petra Mazáčová
- Václav Šlaich
- Michal Lazorčík
Das Projekt wird vom Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds gefördert.
OHNE BLASEN UND OHNE WORTE
Die Tschechen und die Deutschen haben in den vergangenen Jahrhunderten eine sehr komplexe und auch bunte gemeinsame Vergangenheit durchlaufen. Sie waren geliebte und gehasste Nachbarn, sie nahmen sich gegenseitig in ihre Familien auf, teilten ihre Freuden und Sorgen und wussten immer, wie sie miteinander auskommen konnten. Manchmal auf Tschechisch, manchmal auf Deutsch, aber fast immer ohne Worte. Deutsch, einst das Englisch Mitteleuropas, war einst die Amtssprache in den tschechischen Ländern, in den Schulen, … Auch Bücher wurden meist auf Deutsch geschrieben. Die Herrschaft über das Böhmische Becken wurde während des größten Teils des Zeitraums, den wir als Neuzeit bezeichnen, von einer Herrscherfamilie ausgeübt, deren Muttersprache Deutsch war. Die Tschechen mussten lange auf eine eigenständige tschechischsprachige Präsenz warten und sich diese vor dem Hintergrund der bitteren geopolitischen Veränderungen der so genannten Neuzeit verdienen.
Das Tschechisch-Deutsche Comic-Symposium feiert heuer sein erstes Jahrzehnt. 2015 trafen sich in der Villa Paula in Klenová zum ersten Mal neun Comiczeichner aus Tschechien und Deutschland, um ein neues Kapitel der Gegenwart aufzuschlagen. Kosmopolitische Zeiten, frei von Vorurteilen und Angst vor dem Unbekannten oder Fremden. Es ist kein Zufall, dass wir als erstes Thema die Geschichten aus unserer gemeinsamen Geschichte gewählt haben, in denen sich das Leben und der Tod unserer Helden an den Grenzen des Eisernen Vorhangs überschnitten. Dieser gewaltsame Bruch zwischen dem Territorium der Freiheit und dem Territorium des Totalitarismus in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vervollständigte die langfristige Zerrüttung der Beziehungen zwischen Tschechen und Deutschen und bestimmte die Form ihres eigenen Lebens – gewaltsam abgebrochene Beziehungen, vereitelte Rückkehr oder Versuche der Wiedervereinigung…
Seit 2015 treffen wir uns alle zwei Jahre am gleichen Ort. Heuer ist es das sechste Mal, und auch wenn Englisch paradoxerweise die am häufigsten gesprochene Sprache bei diesem Treffen ist, können wir am Ende des Symposiums immer sagen, dass wir uns nicht nur durch verbalen Konsens, sondern auch ohne Worte verstehen. Anlässlich der Feierlichkeiten zum zehnjährigen Bestehen des Tschechisch-Deutschen Comic-Symposiums haben wir daher beschlossen, ein übergreifendes Thema zu wählen, das die Idee, die uns zur Gründung des Symposiums geführt hat, aufgreifen kann. Die Idee ist, nach gemeinsamen Themen zwischen Tschechen und Deutschen zu suchen, zwei Nationen mit einer gemeinsamen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, in denen wir uns hoffentlich wieder ohne Worte verstehen werden.
Geschichten ohne Sprechblasen sind eine der schwierigsten Disziplinen des Comics. Es erfordert viel Arbeit für einen Filmemacher, eine Geschichte ohne Worte so zu konstruieren und darzustellen, dass sie verständlich ist, ohne ihren Schwung und Witz zu verlieren. Und zwar nicht nur für den Schöpfer, sondern auch für den Leser, der sich die Geschichte vorstellt, sie errät und sogar einen Teil seiner eigenen Vorstellungskraft in die Geschichte einbringt und so im Grunde zum Mitschöpfer wird. Das Lesen wird so de facto zu einem eigenständigen kreativen Prozess.
Und wie haben die einzelnen Schöpfer eine so schwierige und diesmal auch unbegrenzte Aufgabe bewältigt? Wir sind sehr froh, dass wir uns in diesem Jahr über die Qualität der Comics keine Illusionen machen müssen, auch wenn wieder ein großer Prozentsatz von Absolventen oder Studenten an dem Symposium teilgenommen hat. Eines dieser jungen Talente ist Kristýna Skoumalová, die in ihrer Geschichte Inspiration sich selbst und ihre Beziehung zum künstlerischen Schaffen, zur Natur, die sie inspiriert, und zu ihrer eigenen Fantasie voller magischer Märchenfiguren offenbart. Die Hauptfigur der Kurzgeschichte ohne Worte Brouk v hlavě (Käfer im Kopf) einer anderen Schülerin Tereza Voštinková verwandelte sich ebenfalls in ein ähnliches Märchenwesen. In einer fast kafkaesken surrealen Geschichte verwischt der Autor die Grenzen zwischen Realität und Fantasie, genau wie ein anderer Autor, Moritz von Wolzogen. Moritz führte uns mit seinem Comic Střípky (Scherbchen)tief in seine schwer fassbaren Erinnerungen, die er mit einem übergreifenden Zitat der Schriftstellerin Ilse Aichinger einleitete: “Die Erinnerung splittert leicht, wenn man sie zu beherrschen versucht.” Auf amüsante Weise hat auch die Comic-Geschichte Apfelbaumkinder indirekt mit der Erinnerung zu tun, in der Gregor Hinz explizit und doch auf andere Weise heimlich (und ohne Worte) das Motiv der Liebe zur Kunst, zum Alkohol und zu seinen Mitmenschen aufgreift. Auch Max Hrstka ging die Aufgabe mit Humor an. So konnte er sich in seiner wortlosen Geschichte voll und ganz auf den epischen Kampf in den Eingeweiden des zerbrochenen Karmas konzentrieren, nicht nur in der materiellen, sondern auch in der geistigen Dimension. Die Autorin Burcu Türker hat eine Unterwasserwelt als bestimmenden Schauplatz für die Erzählung ohne Worte (aber nicht ohne Blasen) gewählt, die uns nach und nach mit ihrer Farbenpracht verschlingt, genau wie die Fische der Hauptfigur. Auch in der Geschichte von Tereza Šiklová wird uns die Umgebung mit der Hauptfigur verschlingen. Bei Šiklová handelt es sich jedoch von einer Sommernacht, die uns aus verschiedenen Gründen oft zur Schlaflosigkeit verleitet – seien es die Geräusche, die aus einem offenen Fenster dringen, oder die tropische Hitze, die zwischen den heißen Wänden einer Wohnung eingeklemmt ist… Auch Helena Baumeister wählte für ihre Geschichte das Motiv einer schlaflosen Nacht, der keine Hitze, sondern eine tiefe Partnerkrise vorausging. Die wortlose Nacht inspirierte auch den letzten Teilnehmer Martin Schütz. In seiner Darstellung wird eine scheinbar banale Fahrt in einem abendlichen Bus voller gleichgültiger “mobiler Zombies” zu einer geheimnisvollen Begegnung an der Grenze zwischen Realität und Traum.
Der heurige Jahrgang Ausgabe unterscheidet sich von den vorangegangenen. Während sich die Künstler bei Faust, Superhelden des Ostblocks oder Klostermann mehr oder weniger an die Geschichtslinie halten mussten, hatten sie bei Mutter Natur oder Verborgene Orte mehr Freiraum, um über ihre Einstellung zum Thema nachzudenken. Das Thema ohne Blasen hingegen ließ alle Grenzen verschwinden und wurde zu einem neuen Experiment, wie man mit grenzenloser, wenn auch dummer Freiheit umgehen kann. Die unendliche Freiheit war ein wenig beängstigend. Ich versuchte mir vorzustellen, wie wir mit den unterschiedlichen Geschichten, die zwangsläufig kommen würden, weiterarbeiten würden. Und sie kamen. Und sie überraschten. Sie waren verbunden durch die Sensibilität, die Wahrnehmungsfähigkeit und die Einsicht, mit der alle Teilnehmer an die Geschichten herantraten. Ich war erstaunt über die Leichtigkeit, mit der alle Comics verkettet und durch ein bestimmtes Detail miteinander verknüpft waren. Es ist wie bei langjährigen Freunden, die ein Assoziationsspiel spielen. Tschechen und Deutsche… und vielleicht ist das diesjährige Symposium eine kleine Manifestation des Wunsches, dass wir aus unserer gemeinsamen Vergangenheit lernen, das alte Unrecht begraben lassen und unsere gemeinsame Zukunft ohne Worte bald Wirklichkeit wird.