Diskussion begleitend zur Ausstellung “Vergessenes Erbe III – Deutsche und Tschechen im 20. Jahrhundert” am 14.11.12
Ein großer Kreis zeitgeschichtlich Interessierter war am verg. Mittwoch ins Centrum Bavaria Bohemia (CeBB) in Schönsee gekommen, um mit zwei der Autoren der aktuellen Ausstellung zu diskutieren. Moderiert von Hans Eibauer und Václav Vrbík, stellten sich PhDr. Pavel Suk, Historiker und Leiter der Kulturabteilung der Region Pilsen, und PhDr. Miroslav Hus, Leiter der Abteilung für Alte Geschichte des Westböhmischen Museums in Pilsen den Fragen und der Diskussion.
„Lange hat die tschechische Seite das Gespräch über die schwierigsten Zeiten der deutsch-tschechischen Beziehungen vermieden – heute setzt man sich offen mit diesem wichtigen Thema auseinander“, lobte ein anwesender Gymnasiallehrer aus Tschechien die Idee der Ausstellung „Deutsche und Tschechen im 20. Jahrhundert im Schatten von zwei totalitären Regimen“. Viele der Besucher der Diskussion kamen aus Tschechien, darunter auch eine Schülergruppe aus Budweis, die sich zwei Tage zu einem Workshop zum Thema „Deutsche und Tschechen in den 1940er Jahren“ im CeBB aufhielt.
Die Autoren stellten eingangs klar, dass die Präsentation von ihrem Umfang her und mit den verwendeten Dokumenten die ereignisreichen, für Deutsche und Tschechen äußerst schwierigen Jahrzehnte vom 1. Weltkrieg bis zur Nachwendezeit, nur schlaglichtartig beleuchten kann. “Sie soll zur Diskussion und Auseinandersetzung anregen”, gab Dr. Pavel Suk zu verstehen und machte das Angebot, die Ausstellung an Schulen und Kultureinrichtungen auszuleihen.
Äußerst lebendig war die über zweistündige Debatte, in der eine ganze Reihe von Zuhörern das Wort ergriffen. Neben konkreten Fragen, einige wurden vorab über Facebook übermittelt, war es einem Diskussionsredner ein Bedürfnis, seine divergierende Sicht zu den geschichtlichen Ereignissen im Nachbarland, insbesondere zur Vertreibung, auszudrücken.
Die Frage, wo der Ursprung der Konflikte zwischen Deutschen und Tschechen lag, die zuvor doch recht friedlich zusammengelebt hatten, zielte darauf ab, ob sich in den zwanzig Jahren der ersten Republik schon eine negative Stimmung hochschaukelte, die dann eskalierte. Es lässt sich sicher nicht ein einziger Auslöser identifizieren. Grund war nicht so sehr die Benachteiligung der deutschen Minderheit, sondern vielmehr die Auswirkungen der Wirtschaftskrise der 1930er Jahre, die damit einhergehende Arbeitslosigkeit und die sozialen Probleme, die den nationalistischen Parteien in Deutschland und auch im Grenzland Auftrieb verschafften.
Was 1938 nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten und der Bildung des Protektorats Böhmen und Mähren von deutschen Besatzern der tschechischen Bevölkerung angetan wurde, erklärt vieles, das nach dem Ende des 2. Weltkriegs zum Kapitel “Vertreibung” gehört, das breiten Raum in der Diskussion einnahm. Nach Kriegsende im Mai 1945 kam es zur sog. „wilden“ Vertreibung, der dann ab Februar 1946 die „geordnete“ Vertreibung folgte. In der Diskussion wurde von beiden Autoren bestätigt, dass es insbesondere in der ersten Phase zu vielen Greueltaten an der deutschen Bevölkerung kam, die offen anzusprechen heute kein Tabu mehr in der Tschechischen Republik ist. Die tschechische Bürgerbewegung Antikomplex hat mit ihren intensiven Forschungen, umfassenden Dokumentationen und öffentlichen Debatten sehr viel dazu beigetragen, dass die Vertreibung der Deutschen und die Zerstörung vieler Heimatorte breit aufgearbeitet und häufig diskutiert wird.
Viele der Ereignisse nach Beginn der kommunistischen Herrschaft mit den Wahlen im Jahr 1946, konnten in den zwei Stunden nur stichwortartig gestreift werden. Ganz aktuell war die Frage nach dem Ergebnis der Regionwahlen vom Oktober in Tschechien, bei denen die kommunistische Partei mit über 20 % äußerst viele Stimmen erhielt und knapp hinter den Sozialdemokraten zur zweitstärksten Kraft wurde. Das Problem bestünde unter anderem darin, erklärten die Autoren der Ausstellung, dass die jungen Leute oft wenig über die Zeit des kommunistischen Regimes wüssten. Sie würden diese vierzig Jahre nur in der verharmlosenden Version der im Fernsehen gezeigten Serien kennen und stellten es sich nicht besonders dramatisch vor, wenn man in der Schlange stehen muss, bespitzelt wird und nicht ins westliche Ausland reisen kann. Gerade darum sind Ausstellungen wie diese vor allem für junge Menschen so wichtig, die als verantwortungsvolle Bürger Europas ihre eigene Geschichte und die ihrer Nachbarn kennen sollten.
Dann noch die Frage am Schluss, was man denn sei: “Böhme, Tscheche, oder was?”. Heute können wir gottseidank sagen, wir sind Europäer. Das als Perspektive, mit der alle im Saal etwas anfangen konnten, insbesondere die jungen Leute, die nach 1990 in einer Zeit geboren sind, in der die totalitären Regime der Vergangenheit angehören.