Verbinden und Zusammenwachsen – von Land zu Land
Land Art – Zum Untergang bestimmte Kunst
Wenn sich Natur und Kunst verbinden, entsteht eine unnatürliche Beziehung. Jedes Mal, wenn der Mensch auf einem Gipfel ein Denkmal errichtet, gibt er der Gesamtszenerie eine gewisse Bedeutung, die ihr nicht eigen ist. Der Berg und seine Umgebung bekommen durch den Bau eine Bedeutung, die ihnen weder dient noch guttut. Die neu aufgezwungene Gestalt ist genau das, was der französische Kulturtheoretiker Jean Baudrillard als „Abbildung“ (simulacrum) definierte – das, was die Wahrheit verbirgt; ein von ihrem ursprünglichen Sein abgetrenntes Ding. Manchmal werden Monumente religiösen Charakters in die Natur platziert. Ein andermal wird durch Gedenkstätten auf Schlüsselmomente der Geschichte verwiesen. In beiden Fällen melden sich Religion oder Geschichte als der Natur fremde Motive in der Landschaft zu Wort und wirken durch ihren psychologischen Einfluss ständig auf sie ein.
Zeitgenössische Kunst in der Natur, Werke, die mit der Natur interagieren oder bewusst für einen bestimmten Ort in der Natur geschaffen wurden, haben auf die Gesamtszenerie oft einen geringeren Effekt als die erwähnten Denkmäler. Einer der Gründe dafür könnte sein, dass die heutigen Künstler nicht mit religiösen oder historischen Motiven arbeiten. Künstler, die sich der Bildhauerei und der Landschaft widmen, suchen oft nach Harmonie zwischen dem Bild der Natur und dem in sie integrierten Kunstwerk. Sie befinden sich freilich in einer widersprüchlichen Situation. Die Auffassung, Land Art sei eine aussterbende Kunstform, ist aus einem bestimmten Blickwinkel betrachtet pragmatisch und eine Reaktion auf den immer größeren Mangel an Raum und Gelegenheit für in diesem Genre tätige Künstler sowie auf deren geringe Präsenz auf dem Gebiet der Kunst allgemein.
Andererseits verstehen Künstler schon seit den 1960er Jahren, als sich die Land Art durchsetzte, den Prozess des allmählichen Verschwindens als Aussöhnung mit dem Einfluss der Natur auf das Kunstwerk: natürliche Erneuerung der Vegetation, Erosion, ständiger Einfluss von Naturgewalten und klimatischen Veränderungen. Ein fantastisches Beispiel von Kunst, die sich aus ihrem Wesen heraus dem bestimmenden Einfluss der Natur unterwirft, ist das Projekt „La Ribaute“ von Anselm Kiefer, das der Dokumentarfilm „Over Your Cities Grass Will Grow“ („Und Gras wird wachsen über euren Städten“) von Sophie Fiennes aus dem Jahr 2010 zum Thema hat. Kiefer geht von dem Gedanken aus, dass seine Werke lebende Dinge sind, deren Veränderungen in geologisch langsamem Tempo ablaufen können. Sein Ziel ist es, Fragmente oder nur halb ausgearbeitete Ausdrucksmittel zu schaffen: unvollständige Werke, die auf die Flüchtigkeit aller Dinge in der physischen Welt hinweisen. „La Ribaute“ ist die Gesamtbezeichnung für Dutzende eigenständige monumentale Betontürme, eine Unzahl gegrabener Höhlen und Labyrinthe auf einer Fläche von 14 Hektar. Dieser apokalyptische, dystopische, einer eigenständigen Stadt ähnelnde Komplex ist heute verlassen und wird von der Natur langsam überwachsen und geschluckt. Bisweilen stürzt einer der Bauten ein und hinterlässt nichts als Ruinen. Dieser Prozess ist Teil von Kiefers halbautonomem Projekt.
Die Wanderausstellung „Land Art / Verbinden und Zusammenwachsen – von Land zu Land“ betont die Notwendigkeit des Dialogs über die Bedeutung der Land Art und unterstützt deren Entwicklung bei jungen Künstlern. Es ist wichtiger, eine Debatte über eine verschwindende Kunstform anzustoßen, als man sich denken kann. In den meisten Fällen scheint es, als sei die Land Art eine der sehr wenigen Kunstformen, die sich kommerziellen Tendenzen widersetzt, eine Herausforderung für die Erhaltung der Kunstwerke bedeutet und institutionelle Ausstellungsformate in Frage stellt. Wie soll man Kunst ausstellen, die dafür geschaffen wurde, im Freien präsentiert zu werden oder, genauer gesagt, die infolge ihres Wesens in einer natürlichen Beziehung mit der Natur steht? Aus diesem Grund kann ich den Besuchern hier nur Eindrücke von Land Art mit Hilfe von Fotografien einzelner Werke bieten. Die Originale lassen sich nicht transportieren.
Kurator Jan Van Woensel
Februar 2020, Pilsen – Prag

Der Verlust der Zusammenhänge
Jakub Šik
„Meiner Meinung nach hat bis zum 19. Jahrhundert und irgendwo bis zu den 50. Jahren des 20. Jahrhunderts die Tätigkeit der Menschen die Landschaft eher bereichert als vernichtet. Die heutigen agrar-industriellen Errungenschaften führen leider zu einer bestimmten Lebensstellung, und zwar ohne Rücksicht auf die Umwelt möglichst hohen Lebensstandard zu erzielen. Es kommt zum Desinteresse für die Umwelt und zur Degradation ganzer Landschaftskomplexe.“
Fotografin
Tereza Dudíková

Uprooted Vertical [Umgestürzte Vertikale]
Tereza Fišerová
„Die Installation besteht aus zwei vorgefertigten Stahlmasten; einer davon nimmt die für ihn typische aufrechte Position ein, der zweite ist unweit davon zu Boden gefallen. Der ursprüngliche Impuls für diese Komposition war die Erinnerung der Künstlerin an den böhmischen Wald und die frei herumliegenden, mit satt rosa Insektizidlösung bestrichenen Fichtenstämme. Hier stehen sich im direkten Kontrast lebender, grüner Waldbestand und bereits tote, vom Borkenkäfer befallene Baumtorsos gegenüber.“
Fotograf
Václav Marian

I am not Paula [Ich bin nicht Paula]
Herta Wimmer Knorr
„Der weibliche Torso besteht aus einem etwa 2 m hohen verzinkten Eisenskelett, dessen Oberfläche mit Plastikflaschen bedeckt ist. Die bei Tageslicht schimmernde Haut wird nachts mittels LED von innen beleuchtet. Der klassische Torso wird durch die Plastikhaut abgewertet. Andererseits werden die Plastikflaschen durch die Veredelung nach dem Motto ‚trash to treasure‘ wiederum aufgewertet.“

Taucher
Hanna Regina Uber
„Das was uns Menschen über Ländergrenzen hinweg verbindet, sind die grundsätzlichen Fragen, die elementaren Themen. Die tonnenschwere Skulptur des „Tauchers“ setzt sich mit dem Zwiespalt zwischen Schutz und Einengung auseinander und mit der Frage wer wir hinter der Hülle, die wir nach außen präsentieren, eigentlich sind. Die bemalte Holzskulptur bietet viele Assoziationen. Auch das Vordringen, in für uns fremde und neue Welten…geistig oder körperlich. So wird der Taucher zum “Psychonaut” der seinen gewohnten Lebensraum, oder seine gewohnte Bewusstseinsebene, verlässt um in fremde Welten einzutauchen.“

Flaschenpost
Herta Wimmer-Knorr
„Die Skulptur besteht aus Metall und hunderten PET Flaschen. Sie könnte auf ihrem Weg über Naab und Donau bis ins Schwarze Meer treiben und käme dabei durch halb Europa. Sie möchte die Botschaft weitertragen, dass PET kein Müll ist, sondern ein wertvoller Rohstoff, den man nicht wegschmeißt, sondern wiederverwerten soll, z.B. …als Kunstwerk.“
Fotograf
Václav Marian

Digital dawn
Hanna Regina Uber
„Die Installation thematisiert den Anfang des digitalen Zeitalters. Die Installation stellt die Morgenröte mit ihren unterschiedlichen Farbtönen dar. Die mit Glykol und Tinte gefüllten Glasbausteine symbolisieren die Pixel in einem stark vergrößerten digitalen Foto.“
Fotograf
Kryštof Novotný

Quercus & Tilia
Kateřina Kubalová
„Mein Ausgangspunkt ist die Goldene Straße, die durch die Stadt Vilseck führte, Europa verband und Staaten sowie einzelne Menschen durch Rohstoffe, Kultur und Erfahrungen bereicherte. Die Gesamtgestalt des Objekts geht vom gemeinsamen offenen Raum aus – dem zwanglosen Durchgang zwischen zwei Subjekten.“
Fotograf
Václav Marian

Segel, vom Wind des Schicksals getrieben
Benedikt Tolar
Umsetzung
Benedikt Tolar, Josef Barták, Jakub Čůzy
„Ein Segel, das als provisorische Überdachung dienen kann, aber auch ein Segel mit Rahe eines imaginären Schiffs (des Lebens), das vom Wind des Schicksals getrieben wird und für einige Zeit gerade hier auf der Bügellohe vor Anker ging.“
Fotografin
Tereza Dudíková

Tümpel als Oase des Lebens
Vojtěch Jakimiv
„Ich habe mich entschlossen in der hügeligen Landschaft in der Umgebung von Klenová eine Land Art umzusetzen, die mit dem arbeitet, was vor allem in der heutigen Zeit immer seltener und außergewöhnlicher wird. In die hiesige Hügellandschaft habe ich Halbkugelobjekte eingesetzt, um die längst ausgetrockneten Waldtümpel, Lacken und Wasserreservoire, die schon immer eine Lebensgabe für zahlreiche Bewohner dieser Orte waren, zu stimulieren.“
Fotografin
Tereza Dudíková

Ulme
Kateřina Kubalová
„Den Körper bildet eine komplette Böhmerwälder Ulme, die in eine kompakte Form transformiert ist und von einem statischen arboristischen Seil umarmt ist, das ihn lenkt und gleichzeitig zusammenhält. Zwei Subjekte bilden ein Objekt, in dem es zum Durchwachsen mit einer relativen Übermacht kommt. Die Ulme ist ein wiederkehrendes und starkes Gehölz, das wegen einer sich verbreitenden Krankheit fast verschwunden ist. Sie hat die Fähigkeit die Wunden zu schließen und den Körper von Entzündungen zu befreien. Das arboristische Seil vertritt den Arboristiker, der das Gleichgewicht des Baums und seiner Umgebung pflegt und aufrechterhält.“