Nachwuchsbrückenbauer gesucht
Für jene Generation, die vor 30 Jahren den Fall des Eisernen Vorhangs bewusst erlebte, veränderte sich damals die Welt dramatisch. Was junge Deutsche und Tschechen bewegt, die grenzüberschreitend aktiv sind, zeigte die Diskussion bb-talk am 10.10.2019 im Centrum Bavaria Bohemia (CeBB).
Zwei Deutsche und zwei Tschechen nahmen auf dem Podium im Centrum Bavaria Bohemia (CeBB) ber Diskussionsveranstaltung “bb-talk” Platz, die durch den Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds gefördert wird. Moderiert durch den tschechischen Studenten Filip Rambousek sprachen sie zum Thema “Generation ’89 – grenzüberschreitend aktiv” über ihre Motivationen, sich in Richtung Nachbarland zu engagieren.
Ein Stichwort gab das andere: Gastschuljahr, Erasmus-Auslandssemester, Europäischer Freiwilligendienst, die Sprache des Nachbarlands lernen, den tschechischen Humor verstehen, in der Familie auf geschichtliche Spurensuche gehen, mit Freunden Musik-, Film- und Buchprojekte realisieren, Grenzen im Denken auflösen und nicht an nationalistischen Parolen verzweifeln.
Tickt so die Generation ’89 oder sind die heute 25- bis 35-Jährigen in der Mehrheit viel zu desinteressiert und zu wenig motiviert, sich grenzüberschreitend einzubringen? Moderator Filip Rambousek, freiberuflich auch Autor für den Tschechischen Rundfunk, lockte mit seinen Fragen die Podiumsteilnehmer, ihre eigenen Erfahrungen in die Diskussion einfließen zu lassen.
Großen Anteil an der aufgelockerten Atmosphäre der spannenden eineinhalb Stunden hatte Janina Landstorfer, die sich zwischendurch ans Mikrofon neben das Podium setzte, zur Gitarre griff und tschechische Lieder zum Besten gab. Die in der Gemeinde Waldthurn aufgewachsene Oberpfälzerin ist in eine Umgebung hineingeboren, in der sie viel Kontakt mit Leuten aus Tschechien hatte. Immer wieder gab es Gelegenheit, tschechische Sprachfetzen aufzuschnappen, ob im Alltagsleben beim Einkauf oder dank der Partnerschaft von Kindergarten, Schule und Gemeinde mit der tschechischen Stadt Hostoun (Hostau). Für die tschechische Sprache hängte sie sogar den im Tourismus ausgeübten Beruf an den Nagel und schrieb sich in der Fachakademie in Weiden für Tschechisch und Englisch als Übersetzerin und Dolmetscherin ein.
“Was ging bei euch im Kopf vor, als ihr heute bei der Fahrt nach Schönsee die Grenze passiert habt”, wollte der Moderator wissen. Für die Deutsche Vanessa Müller, die seit zwei Monaten in Pilsen lebt und für ein Jahr einen Europäischen Freiwilligendienst im Kindergartenprojekt Junikorn absolviert, “weckte es keine Gefühle, die Grenze zu passieren”. Bestimmt im Gegensatz zu einem 60-Jährigen, der vor oder hinter dem Eisernen Vorhang aufwuchs und das Durchschneiden des Stacheldrahts miterlebte. Vanessa Müller ist eher zufällig in Tschechien gelandet, weil auf ihre 30 Bewerbungen in ganz Europa das einzige Angebot für ein Freiwilligenjahr aus Pilsen kam.
Wie gut sie in der Metropole Westböhmens zurechtkommt, ist aus jedem ihrer Sätze zu hören. “Nach zwei Monaten spüre ich schon ein heimatliches Gefühl in Pilsen. Ich habe Lust, die tschechische Sprache zu lernen, doch mit dem tschechischen Humor komme ich noch nicht so klar”, war ein Hinweis auf eine der Hürden. Die andere liegt am Essen, denn als Vegetarierin war die Suche nach Umwegen um die herzhafte böhmische Küche mit viel Fleisch nicht so einfach.
Dem zwei Jahre vor der Wende geborenen, heutigen Kulturmanager Jindrich Jindrich wurde sein Interesse an Deutschland schon fast in die Wiege gelegt, denn seine Eltern sind in der Gastronomie tätig und sprechen fließend Deutsch. Mit 17, 18 Jahren ein Gastschuljahr in Weiden am Augustinus-Gymnasiums zu verbringen, “hat bei mir viel Sympathie für mein Nachbarland geweckt”. Mit der Sprache war es nicht so einfach, denn “in Weiden spricht man nicht viel Deutsch” war die erste Erfahrung mit dem Oberpfälzer Dialekt, die ihn heute bei der Umsetzung von Kulturprojekten mit Regensburg und mit dem CeBB eher hilft. Bei der Frage des Moderators, ob die Kooperation mit Deutschland einfach sei, trat in der Antwort gleich eine innertschechische Konfliktebene ans Tageslicht: “Mit den Bayern macht es richtig Spaß, jedenfalls besser als mit den Mähren.”
Der Aufruf der jungen, im Grenzraum Sachsen/Nordböhmen hin- und herwechselnden Gymnasiallehrerin Veronika Kupková, Erasmus zu nützen, für eine gewisse Zeit ins Ausland zu wechseln und die Großelterngeneration nach ihren geschichtlichen Wurzeln zu fragen, kommt in der Debatte über das Geschichtsbild nicht von ungefähr. Beim Ausfragen des Opas traten seine egerländischen Wurzeln mit seinem komischen deutsch-böhmischen Dialekt zutage.
Nach dem freiwilligen Jahr in Sachsen dann für Veronika Kupková die Begegnung mit der Gruppe Antikomplex, die ohne Scheu 1998 begann, das Schicksal der Sudetendeutschen zu recherchieren, die in vielen kleinen, nach dem Krieg dem Erdboden gleichgemachten Dörfern bis zur Vertreibung lebten. Der Kontakt mündete in eine Ausstellung in einem kleinen tschechischen Dorf, bis dahin war dort die Vertreibung ein Tabuthema. Es folgten ihr Film “Generation N: Deutschböhme”, der auf Youtube zu sehen ist und ein Buchprojekt. “Du bist so bewundernswert engagiert”, kommentierte der Moderator die Leidenschaft der jungen Tschechin für das grenzüberschreitende Miteinander.
“Wo finden die ähnlich agierenden jungen Tschechen ihre politische Heimat in der momentanen Parteienlandschaft in Tschechien, die zu 95 Prozent keinen Klimawandel sieht, strikt gegen die Aufnahme von Flüchtlingen ist, den Nationalismus predigt und Václav Havel vergessen zu haben scheint,” war eine der Fragen aus dem Publikum, die nach der Klärung “was tschechischer Humor sei” zur politischen Wirklichkeit zurückführte. “Man verliert die Hoffnung, wenn man sich die politische Situation anschaut,” war die wenig zuversichtliche Antwort von Veronika Kupková.
Bei der Schlussfrage des Moderators (“Was sind die Perspektiven für die Generation’ 89, um grenzüberschreitende Freundschaften zu gewinnen, sie zu vertiefen?”) gingen die Antworten querbeet von “gemeinsam Suppe kochen”, “Sprachbarriere darf keine Ausrede sein”, “die Hürden für Erasmus runter schrauben”, “in Austauschfamilien leben dürfen” bis hin zur praktischen Erfahrung von Jindrich, der in einer Swing-Bigband spielt und auf 125 Auftritte im Jahr in Tschechien und Deutschland und darüber hinaus kommt.
Quelle: Der Neue Tag