Etwas mehr tun!
Der Routenplaner zeigt, dass die Entfernung zwischen den Partnerstädten Plan bei Marienbad und Tirschenreuth 36,3 km ausmacht. Eine Autofahrt zwischen beiden Städten dauert 41 Minuten, sagt die Suchmaschine im Internet. Es ist ein Stückchen. Dieses Stückchen überschneidet keine Grenze zweier politischen Blöcke mehr wie noch vor dreißig Jahren, wo die Glücklicheren, die durch die Grenze durften, etwa drei Stunden für die Grenzkontrolle und eine Stunde für den Umweg dazurechnen mussten, weil es die Grenzübergänge nicht gab. Doch viele Unterschiede zwischen beiden Städten bleiben.
Der größte Unterschied liegt etwa darin, dass die Tschechen zu Hause ein Drittel, in besten Fällen eine Hälfte verdienen von dem, was ihre deutschen Nachbarn bekommen. Dieser Unterschied erkennt man leicht, wenn man in beiden Städten einen Spaziergang durch den Stadtplatz und in der nahen Umgebung macht und schaut, welche Ware und Dienstleistungen für wieviel Geld angeboten werden und welche Immobilien auf den Anschlagbrettern erscheinen.
Eins aber haben beide Städte gemeinsam. Auch schon bei einem flüchtigen Besuch sieht man den Willen, die Gestalt der Stadt und die Lebensqualität darin zu verbessern. Man sieht die in der jüngsten Zeit erzielten Erfolge: hergerichtete Stadtplätze, verbesserten öffentlichen Raum, Sport- und Kulturangebote. Jeder macht es nach seiner Vorstellung und nach seinen finanziellen Möglichkeiten und den verschiedenen organisatorischen Traditionen. Aber die Lust und der Wille sind anwesend und laden jeden ein, daran teilzunehmen.
In dieser Dokumentation legen wir Gespräche vor, die im Rahmen des Projektes Gründung eines Museums sowie von Kultur- und Freizeiträumen im ehemaligen Münzhaus der Familie Schlick, das vom Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds anlässlich des Deutsch-tschechischen Kulturfrühlings 2017 (Programm Die Saison der deutsch-tschechischen Start-ups) unterstützt wurde. Es treffen ich hier Leute, die eng nebeneinander leben und sich meistens nicht persönlich begegnet sind. Ich denke, dass es uns im Rahmen des Projektes gelungen ist, wirklich repräsentative Persönlichkeiten anzusprechen, die nach ihren Erinnerungen greifen können oder, falls sie jünger sind, auf irgendeine Art den Ort profilieren, in dem sie leben.
Die Arbeit an diesem Projekt hat dem Autor der Gespräche, also mir, große Freude gebracht. Wenn man Interviews oder Reportagen macht, weiß man am Anfang nichts und am Ende hat man dagegen das Gefühl, alles gewusst zu haben. Solch ein Gefühl ist natürlich falsch.
Es war erstaunlich wahrzunehmen, dass in Plan ein Gymnasium geschlossen, während in Tirschenreuth ein anderes aufgebaut wurde. Dass in Plan ein Museum abgeschafft, in Tirschenreuth ein anderes gegründet wurde.
Es war interessant zu erfahren, dass in Tirschenreuth die Einwohnerzahl nach dem Krieg um ein Drittel gestiegen ist, vorübergehend sogar um die Hälfte, und gerade die Sudetendeutsche haben hier etwa sechzig Firmen gegründet, zum Teil in den für die Deutschen unbekannten Bereichen.
Die Leute auf der tschechischen Seite, in der Stadt, wo die Bevölkerung fast völlig ausgewechselt war, gingen nach dem Krieg durch viele radikale Veränderungen durch. Die in Plan Ansässigen stellten nach dem Krieg schon eine mehrmalige Welle dar, die die Stadt durchquerte. Die erste hat nur alles genommen, was man holen konnte, und verschwand. Dann haben die Leute Ackerboden und Gewerbe bekommen, haben es dem Staat abgezahlt, und dann wurde ihnen vom Staat wieder alles weggenommen. In den abschließenden Jahren des Sozialismus investierte der tschechoslowakische Staat in Westböhmen in die Entwicklung der Landwirtschaft, es wurden Kuh- und Schweineställe aufgebaut, die Technik eingekauft. In den Jahren nach der Revolution haben diese Unternehmen meistens Pleite gemacht. Ich habe das Gefühl gewonnen, dass die tschechische Seite prosperieren wird, wenn die politischen Bedingungen kein Verschwenden mehr mit den Kräften und dem Menschenpotenzial erlauben, oder es mindestens in kleinerem Maße zulassen. Plan geht es momentan am besten seit 1938.
Aus allen Gesprächen ergab sich für mich eine allgemeinere Lehre. In den kleineren Städten kommt es ungeheuer viel daran, was jemand noch etwas dazu macht. Wenn nicht Frau Blanka Borůvková nach Plan zurückgekommen wäre, die in Prag als erfolgreiche kulturelle Managerin gewirkt hat, wäre das respektierte Festival Ausflügelei einfach nicht entstanden und eine Reihe positiver Änderungen in der Stadt und ihrer Umgebung hätten nicht stattgefunden haben. Wenn Herr Eberhard Polland nicht in seinen jungen Jahren angefangen hätte, alte Fotos zu sammeln, wären die Bücher der Reihe Damals in Tirschenreuth nicht entstanden, die allen einen Einblick in die vergangenen Zeiten vermitteln. Wenn sich ein paar Leute bei einem Theaterstück aus der Stadtgeschichte nicht kennengelernt haben, würde keine Gemeinschaft entstanden, die in Tirschenreuth ein ausgezeichnetes modernes Theater spielt. Wenn nicht Herr Lehrer Staněk darauf bestehen würde, dass er mit den Kindern arbeiten werde, obwohl er nach 1968 politisch liquidiert wurde, viele von den Kindern von damals würden die Schönheit des Sports und die Auswirkungen der Rehabilitationsübung nicht kennenlernen. Und so kann man von einem Gespräch zum anderen fortsetzen. Oft ist ein einziger Mensch entscheidend. Wenn ein Raum gefunden und gegeben wird, gute Dinge passieren. „Noch etwas mehr zu tun“, das ist in meinen Augen die Botschaft dieser Publikation.
Ich habe die Leute gefragt, wie sie die Grenze früher wahrgenommen haben und wie nehmen sie sie jetzt wahr. Die Grenze zwischen den politischen Blöcken war auf der tschechischen Seite nicht nur verdrahtet und fieberhaft bewacht. Es war auch eine Grenze, an der man die Kultur des Hasses gegen die Leute von der anderen Seite gepflegt hat.
Die Zahlen der Opfer sind auch hier schrecklich. An den Grenzen, im tschechoslowakischen Teil des Eisernen Vorhangs, sind mindestens 584 Soldaten umgekommen, davon 185 durch Selbstmord, 243 infolge der Unfälle oder Unglücksfälle, 39 infolge des Anschießens, 47 infolge der Explosionen von Minen oder Granaten, bei der Manipulation mit den Sprengstoffen oder nach dem elektrischen Einschlag durch den Strom. 11 Angehörige des Korps für Nationale Sicherheit (SNB) und der Hilfswache starben beim direkten Kampf mit den „Grenzverletzern“. Als die niedrigste Zahl derer, die beim Versuch, die Grenze zu überqueren, gestorben sind, werden 280 Personen angegeben, die letzten Forschungen arbeiten aber mit größeren Zahlen.
Allen, die an dieser Grenze starben, auch allen, die diese Grenze in den Zügen in die Konzentrationslager oder bei der zwanghaften Aussiedelung nach dem Krieg hin und hergefahren sind, sollten diese kleine Gespräche über die Hoffnung, die wir heute als Nachbarn bei der offenen Grenze haben, gewidmet sein. Sich auf der anderen Seite niederzulassen kann man heutzutage von einem Tag auf den anderen.
Wir können verschiedene Meinungen haben, was und warum sich dies und jenes in der Vergangenheit abgespielt hat, auch wer daran schuld war und wofür. Das wichtigste ist aber, dass gewisse Dinge nicht mehr passieren und wir etwas aus der Zeit der Unfreiheit für unsere Zeit dazu lernen. Wie lange bleibt die Grenze noch ohne Kontrollen, zeigt sich heute wieder fraglich. Möglicherweise konnten wir nur ein paar Jahre in einer außerordentlich entspannten Zeit leben.
Die Partnerstädte Plan bei Marienbad und Tirschenreuth verbindet die einzigartige grenzüberschreitende Wallfahrt der St. Anna. Das Wallfahrt-Thema sollte im vorbereitenden Museum in Plan erscheinen. Bei mehreren, auch vom Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds finanzierten Koordinierungstreffen wurde die Gestaltung des Museums besprochen. Das Museum wurde durch dieses Projekt und dank den Gesprächen, die wir geführt haben, viel realer und greifbarer, was sein Profil und seine thematische Orientierung betrifft. Wir möchten in Plan in diesem Museum einen Raum schaffen, in dem insbesondere junge Leute etwas von der modernen Geschichte dieser Region erleben können. Die Bürgermeisterin Martina Němečková und der stellvertretende Bürgermeister Pavel Nutil haben in der Wahl 2018 sehr überzeugend ihre Mandate verteidigen können. Sie haben also nun die Möglichkeit, die Ergebnisse dieses Projektes, zusammen mit der Studie, die sich die Stadt noch vor diesem Projekt ausarbeiten ließ, näher der Realität zu rücken. Dazu wünschen wir ihnen und uns viel Kraft.
Für große Geduld und Empathie danken wir auch Herrn Martin Hořák aus dem Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds.
Für die Möglichkeit, für die Städte arbeiten zu können, in denen man den Willen zur Verbesserung sieht, erlaube ich mir im Namen des Realisierungsteams, zu dem außer mir noch Frau Kateřina Binková und Frau Kamila Jůzlová gehörten, sehr bedanken.
Jan Šícha