Wir leben beieinander, tragen Tracht, sprechen Mundart, und ich denke, es ist modern
Gespräch mit Ludwig Bundscher
Herr Bundscherer, wie kommt ein Journalist zum Museum?
Über die Stelle in der Tourist-Information der Stadt Tirschenreuth, die mit dem Posten des Museumschefs verbunden ist. Ich habe mich beworben, weil ich zurück nach Hause wollte. Ich stamme von hier, wollte hier leben, und falls ich eine Familie haben werde, möchte ich sie hier haben. Ich habe keine Lust mehr, mich in großen Städten aufzuhalten, was unweigerlich mit sich bringt, dass ich dem professionellen Journalismus Adieu sagen musste. Ein neues professionelles Zuhause habe ich auch hier im Museum gefunden.
Und was treibt Sie hierher so?
Das wird wohl das Herz sein. Ein Oberpfälzer lebt dort, wo er aufgewachsen ist. Er liebt Steine und Bäume, Felder, Wiesen und Kühe, sein eigenes Haus, womöglich ohne die Nachbarn, und selbstverständlich liebt er unsere Sprache. Als ich mit unserer Mundart in der Uni ankam, verstand mich niemand. Das Hochdeutsch habe ich erst dort gelernt. Meine Dozentin sagte mir, dass ich mit meiner Stimme Säle füllen könnte, aber niemand würde mich verstehen. Sie sagte, ich müsste sofort alle Kontakte zu jedem Bayern abbrechen. An der Uni lernte ich den Blick von außen, jetzt bin ich froh, wieder den Blick von innen zu haben.
Wo haben Sie studiert?
In Jena. Ostdeutschland. In Bayern musste man sein Studium bezahlen, was ich mir nicht leisten konnte. Ich habe auch in Leipzig studiert und ein Jahr in Bamberg. In Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt verbrachte ich beinah zehn Jahre.
Wann haben Sie in Jena studiert? Hatte man dort noch die alte DDR gespürt?
Haben Sie in diesem grauenvollen ostdeutschen kreisrunden Wolkenkratzer studiert, den man in Jena zu der DDR-Zeit auf der Stelle der historischen Gebäude gebaut hat? Die historische Bausubstanz in Jena wurde 1945 zerbombt, und das „Keksrolle“ genannte Hochhaus steht dort, wo vor dem Krieg die Altstadt war. Ich habe nicht direkt in diesem Haus studiert, doch meine Umgebung in Jena nahm ich schon als ziemlichen Sozialismus wahr. Wenn man aus Bayern kommt, wo die Christlich-Soziale Union herrscht, und wo man sein ganzes Leben hört, es sei ein gelobtes Land, und geht in den wilden Osten, sieht man zuerst nur Plattenbauten, Plattenbauten und Plattenbauten. Damals waren sie nicht so schön renoviert wie heute, falls man überhaupt etwas rund um die Plattenhäuser schön nennen kann. Sozialismus pur, das Jahr 2008. Eine andere Welt, interessante Welt, mit vielen Unterschieden im Verhalten der Leute, was man am meisten bei der älteren Generation spürt.
Da lebten aber die Ostdeutschen schon ziemlich lange im vereinigten Deutschland und nahmen das sogenannte solidarische Geld entgegen…
Die wirtschaftlichen Aspekte, die Gegenstand der Auseinandersetzungen der Erwachsenen sind, zum Beispiel wer wieviel Solidaritätszuschlag für den Osten zahlt, habe ich als Student nicht gespürt. Ich hatte ohnehin kein Geld. Wie manche Andere arbeitete ich an der Uni als studentische Hilfskraft für fünf Euro fünfzig pro Stunde, also tief unter dem heutigen Mindestlohn. Wenn irgendwo alle arm sind, ist die Armut kein Thema.
In Ostdeutschland studieren fast ausschließlich Leute aus Ostdeutschland. Aus Bayern geht man nicht nach Tschechien oder Ostdeutschland. Es ändert sich jetzt allmählich, aber nur langsam. Als ich in Jena angefangen habe, war der Anteil der Studenten aus Bayern etwa 2 Prozent. Von uns ist es nur 180 Kilometer bis Jena, unwesentlich weiter als nach Regensburg, wo fast alle von hier zum Studium hingehen.
Und was schien Ihnen in diesem für die Bayern toten Land interessant zu sein?
Ich glaube, für einen jungen Menschen ist die ganze Welt interessant. Es herrschte dort die Freiheit. Alte, nicht hergerichtete Häuser, wo man billig leben konnte. Man musste vielleicht Kohle schleppen, ja, aber man konnte eine eigene Wohnung haben. In der Stadt hat eine freie, relativ linke Kulturszene funktioniert. Als ich später in Leipzig studiert habe, gehörte das Haus, wo ich wohnte, einer polnischen Ärztin. Der Hauswart war auch Pole und behauptete immer, dass er in Leipzig wohne, weil es die letzte sozialistische Stadt sei.
Haben Sie in Jena lokale Persönlichkeiten getroffen? Etwa den Pfarrer König, der als das Original der linken Szene gilt, die Sie erwähnt haben?
Ich habe dort viele Persönlichkeiten getroffen, Herrn König kenne ich natürlich auch, er betreibt in Jena ein linksorientiertes Kulturzentrum. Noch besser kenne ich seine Tochter, die in Thüringen Abgeordnete für Die Linke ist. Sie ist manchmal eine etwas ideologisch zu befangene Antifaschistin. Die Linke regiert in Thüringen, ich arbeitete dort als Parlamentsberichterstatter und habe viel mit den Leuten aus der Politik kommuniziert, oft auch ohne Mikrofon.
Wie haben sie darüber berichtet, dass Die Linke in Thüringen versprach, die Waffenindustrie mit dem Staatsanteil einzustellen, und sie hat es nicht getan?
Die Waffenindustrie in Thüringen ist ein sehr interessantes Kapitel. Eine große Optikfirma hat auch eine große Branche für Rüstungszwecke / Zielerfassung. Die Linke hat stets erklärt, dass sie Rüstungskonzerne abschaffen will, weil sie gegen Krieg sei. Das Bundesland hatte an diesem Konzern etwa zehn Prozent Anteil. So ist dieses Jahr, glaube ich, eine Tochtergesellschaft dieses Konzerns entstanden, an welcher aber der Mutterkonzern hundert Prozent hält. Diese Tochtergesellschaft widmet sich jetzt den Rüstungsaufträgen. Das politische Problem ist gelöst, weil das linksregierte Land Thüringen keinen direkten Anteil mehr an der Waffenindustrie hat. Ich denke, so sieht der wirtschaftlicher Realismus eines Koalitionsregierens aus, weil Die Linke zusammen mit den Sozialdemokraten und den Grünen regiert.
Als Parlamentsberichterstatter haben Sie in Erfurt gelebt? In einem Plattenhaus? Weil es in Erfurt ein kleines und schönes historisches, von großen Neubauvierteln umgegebenes Zentrum gibt, das immer teurerer wird?
Ich habe in keinem Plattenhaus gelebt, weil ich schon verdient habe. Ich konnte für mich einen Ort hinter der Altstadt finden.
Wann haben Sie sich gesagt, dass es jetzt genug mit der Arbeit im Parlament in Thüringen wäre und man soll nach Hause gehen?
Ich weiß es nicht. Meine Freundin lebte hier, ich bin oft nach Hause gefahren, habe nie aufgehört, mich mit meinen hiesigen Freunden zu treffen. Ich habe hier viele Freunde, die Landwirte, Schreiner oder Zimmerer sind, und die alle sind hiergeblieben. Die Entscheidung kam nicht in einem Zug, ich hatte eher immer stärker die Lust, wieder in die Natur zu gehen, Fahrrad zu fahren, Pilze zu suchen. Und in einem Zelt zu sitzen, Blasmusik zu hören und Bier zu trinken. Auch wollte ich eine bestimmte Arbeitszeit haben und nicht stets zu Verfügung stehen. So dass ich zwar nicht von einem Tag auf den anderen, aber doch allmählich meine Karriere beendet habe und heimgekommen bin.
Welche Karriere stünde Ihnen bevor?
Ich hatte zum Beispiel Angebote, für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Berlin als Parlamentsberichterstatter zu arbeiten.
Hat Ihnen die politische Journalistik Spaß gemacht?
Selbstverständlich. Die politische Debatte kann unterhaltsam, aber auch abschreckend sein. Gerade in Thüringen haben sich die Parlamentsdebatten ziemlich geändert, nachdem die rechte Alternative für Deutschland in den Landtag angekommen ist… Natürlich haben sich die Debatten sehr geändert. In Thüringen wirkt Björn Höcke, der als Vertreter des rechten Flügels der Alternative für Deutschland gilt. Doch arbeitete ich nicht als einer, der die Meinung bildet, sondern als einer, der verschiedene Meinungen darstellt. Ich habe mich immer bemüht, die Parteien, die gerne mit populistischen Verknappungen oder gar mit Beschimpfungen arbeiten, mit sachlichen Inhalten zu konfrontieren. Man kann im Parlament nicht schneiden, in Medienberichten schon. Ich bemühte mich, alles auszuschneiden, was keine sachliche Debatte über politische Themen war. Als Journalist komme ich mit einem Thema und will die diversen politischen Meinungen dazu zeigen.
Und dann sind Sie zurückgekommen und im Museum gelandet. Ein großer Wandel, nicht wahr?
Das Museum ist für mich ein interessanter Ort, den ich vorher nicht auf die Weise kannte, wie ich es jetzt kennenlerne. Ich bemühe mich, hierher Leute einzuladen, damit sie den gleichen Moment der positiven Überraschung erleben, wie ich es erlebt habe. Wir sind hier zwölf Jahrhunderte eine Kulturregion. Vieles hat sich erhalten. Und man entdeckt diese vielen kleinen Geschichten: Ich habe zum Beispiel festgestellt, was es heißt, Pech zu haben. Das Bier wurde früher in den mit Pech ausgepichten Eichenfässern aufbewahrt. Als sich das Pech löste, kam es vor, dass man es ins Bier gezapft bekam. Dann hatte man Pech. Noch vor fünfzig Jahren konnte man es in Tirschenreuth erleben, heute weiß niemand, wo die Redewendung herkommt.
Sie residieren hier in einem hübschen Haus, was kostet der Betrieb jährlich?
Die Stadt Tirschenreuth bezahlt jährlich etwa dreißig Euro pro Einwohner, damit das Museum erhalten bleibt. Das heißt, dass die Stadtführung momentan die Kultur wirklich unterstützen will. Tirschenreuth steht, dank den örtlichen Unternehmen, ökonomisch sehr gut da. In die Kultur zu investieren ist sinnvoll. Wir als Kulturinstitution orientieren uns auf Lokalthemen, die hauptsächlich für hiesige Leute bestimmt sind.
Warum hat sich die Stadt in ihrer Person einen Journalisten ausgesucht, statt einen, der sich direkt mit dem Museumswesen beschäftigt?
Primär hat mich die Stadt als Leiter der touristischen Informationen angeworben. Das Museum wurde zu meiner Herzangelegenheit. Ich verbringe hier sehr viel Zeit. Meine Hauptaufgabe ist es aber, die touristische Region Tirschenreuth voranzubringen. Diese Arbeit macht mir wirklich Spaß und ich muss sagen, dass sie auch gut gelingt. Ich leite Informationen über unsere Kultur, unsere Landschaft und die Mundart weiter. Ich tue es auf eine Art, die ich als Journalist gelernt habe. Modern, medial, digital.
Geben Sie, bitte, ein paar Beispiele, wie Sie die Medien locken. Ein paar Stichworte?
Keine Stichworte. Jemand, der in den Medien arbeitet, hat von Stichworten meistens genug. Ich will den Leuten, die hierherkommen, individuell interessante Sachen erzählen. Hier im Museum findet man viele solche Details und in der Region natürlich noch viel mehr. Es gibt hier zum Beispiel einen Ort, der Teufelsküche heißt. Er befindet sich in einem Tal umsäumt von Granitgiganten. Wald und Granit, das ist für unsere Region typisch. Ganz oben befindet sich ein so genannter Opferkessel. Wer nichts davon weiß, wird ihn nicht finden. Zum Kessel muss man zuerst steil hinaufklettern, dann ein Stück nach hinten wandern und zuletzt nach rechts abbiegen. Es gibt keine Pfeile oder Schilder. Der Opferkessel selbst ist ein riesiger Granitstein, darin eine runde Kuhle, sogar mit einem Ablauf. Angeblich ist es ein Werk der Natur, aber Sie können sich gut vorstellen, wie jemand da brühheißes Wasser reingießt und Kinder kocht. Ich will damit sagen, dass sich ein Mythos besser verkaufen lässt als die rein reale Aussage: „Schau dir die hübschen Steine an!“
Das ist doch die übliche Romantik. Verkaufen Sie Romantik?
Natürlich verkaufe ich sie, im Sinne Heinrich Heines, die Romantik der ersten Stunde – mit einem zeitgemäßen Augenzwinkern. Ich verkaufe das Lebensgefühl. Die Ruhe und die Rast. Die Natur. Und das Leere. Bei uns herrscht Leere, das ist schön.
Welche Leere?
Die Leere, die sich dadurch äußert, dass man irgendwohin aufbricht, seinen Pfad geht und absolut niemanden trifft. Je weiter man gelangt, desto besser ist es. Die hiesige Region ist so dünn besiedelt, dass wir stets als Armenhaus Bayerns gelten, wo nichts wächst, nichts passiert, wo es nasskalt ist und der Wind aus Böhmen weht. Es ist ein Image, das man pflegen muss, weil es Leute anzieht.
In München wird es Bayerns Kongo genannt…
Natürlich. Und hier werden die Münchner Isarpreissn genannt, also Preußen vom Fluss Isar.
Aber Sie wollen doch das vernichten, was Sie verkaufen. Wenn Touristen kommen, ist das Leere weg…
Es sind keine Freizeitparks und Hotelkomplexe geplant – insofern wird uns die Ruhe noch eine Weile erhalten bleiben. Tirschenreuth ist ja auch schon seit vielen Jahren Urlaubsort. Früher kamen Unmengen von Berlinern hierher, weil wir die erste freie Gegend hinter der DDR waren.
Neulich haben Sie einen Text zu unserer Dokumentation geschrieben und darin eine Bemerkung gemacht, dass in Tirschenreuth, aber auch in Plan, die Arbeit der letzten Jahre zu sehen ist. Nehmen Sie die Veränderung im Vergleich mit Ihrer Jugendzeit wahr?
In meinem Privatleben zeigt sich das so, dass wenn ich meinen Studienfreunden oder Arbeitskollegen sage: „Kommt doch, es ist schön hier,“ sie kommen und stellen fest, dass es hier wirklich schön ist. Als ich von hier nach meinem Abitur wegging, gab es keinen Fischhofpark in der Stadt, der Marktplatz war noch nicht hergerichtet. Es war hier für junge Leute alles grau und nicht gerade attraktiv. Ich war aber weg, habe die Bauphase nicht erleben können, und sehe jetzt das Ergebnis. Der Unterschied ist groß. Es ist unglaublich, was hier alles getan wurde. Und das merken auch ältere Leute, die hierher regelmäßig kommen, oft stammen sie aus Böhmen und verbringen hier ihren Urlaub, weil sie nah an ihrem Heimatland sein wollen, und kommen seit langer Zeit zu uns. Diese Leute nehmen wahr, wie sich die hiesige Gegend entfaltet hat.
Könnten Sie noch etwas über Ihre Jugend ausschildern? In einer grauen Gegend, am Ende der Welt, kurz nach dem Fall des Eisernen Vorhangs?
Ich bin nicht in Tirschenreuth aufgewachsen, aber nicht weit weg von hier, ganze sieben Kilometer Richtung Plana! Im Dorf gab es noch eine Grundschule und einen Bäcker, der inzwischen zugemacht hat. Und die Feuerwehr. Das war mein Kosmos. Es gab keine Handys. Ich bin die letzte Generation ohne Handys. Ich hatte einen Nachbar, Alois war sein Name, er hat mir beigebracht, wie man eine Bisamratte fangen und abziehen kann, was gute Hühner sind und was man im Wald mit Freunden machen kann. Als Kind habe ich nie bemerkt, dass die Grenze nur zehn Kilometer weg entfernt ist. Wir Kinder unterhielten uns ja nicht mal mit einem Kind aus dem Nachbardorf. Mähring war schon Pfui. Ich bin auch nie in Versuchung gekommen, hinter das Pfui zu schauen, wo Tschechien lag. Einmal kam wieder ein Schulbus aus Planá, um uns die Möglichkeit eines gemeinsamen Sportfests zu geben. Die Tschechen blieben auf ihrer Seite, wir auf der unseren. Ihr Bus war alt, sie waren fürchterlich angezogen. Dann nahmen wir es miteinander auf, im Wettbewerb, gar nicht freundlich. Es war kein nettes Spiel, obwohl die Idee, so was zu veranstalten, war pädagogisch zweifellos wertvoll, wenn man die Jugend von beiden Seiten zusammenbringen wollte. Es hat aber nicht funktioniert, weil wir die Sprache dazu nicht hatten.
Mein Abitur legte ich in Tirschenreuth ab, wo auch sonst. Von den 120 Schülern konnte keiner ein Wort Tschechisch, die Sprache stand nicht im Angebot. Über die Grenze fuhr man, um Zigaretten und Benzin zu holen. Nach Marienbad vielleicht als junger Mensch einmal im Leben, und darüber hinaus lohnte es sich noch, das Restaurant Ve Skále (Im Felsen) in Kuttenplan / Chodová Planá zu besuchen. Und das war es mit dem Kulturaustausch. Man hatte sowieso das Gefühl, dass alle auf der anderen Seite irgendwie Deutsch sprechen.
Glauben Sie, dass es gut wäre, wenn jemand in Deutschland in der Nähe der Grenze etwas Tschechisch sprechen könnte?
Ich glaube, es sollte Pflicht sein. Ich denke auch nicht, dass es gut wäre, wenn die Tschechen nur die Wahl zwischen Englisch und Deutsch hätten – beides! Das Englische ist notwendig und ich habe in meinem Leben viel Englisch geredet. Doch die Schulen funktionieren nach dem bayerischen Schulplan, nicht nach dem Lehrplan der Stadt Tirschenreuth und ihrer Bedürfnisse.
So dass Sie zurückkamen nach Tirschenreuth, das renoviert ist und man kann in ihm viel Neues finden. Wie lebt sich darin als moderner Mensch, der etwas in der Welt erlebt hat? Sie würden wohl Tirschenreuth heute anders anschauen, als damals, als Sie es verließen…
Ja, aber das hängt mit dem Alter zusammen, mehr als mit meinem Weggang und der Rückkehr. Ich bin froh, dass es hier eine Tradition gibt und auch eine Kultur, die hiesige Leute aber nicht Kultur nennen, weil das gefühltermaßen ein Begriff irgendeiner höheren Klasse wäre, mit der ein normaler Mensch nichts zu tun haben will. Wir tragen Tracht, heute sitze ich ja hier auch in einer Trachtenweste, und der Grund ist nicht, weil ich ausländischen Besuch erwartete. Es gibt hier viel Heimat und Vaterland, im jungen und modernen Stil. Die Dorffeste werden zum Beispiel von jungen Leuten organisiert und in den Bierzelten, wo kühn getrunken wird, spielt man Blasmusik. Der Zusammenhalt ist sehr wertvoll, wir leben beieinander.
Das Zuhause, Mutterland – Sie sagen die Heimat, das kennen wir in Böhmen in dieser Form nicht. Können Sie noch zu dem, was Sie schon genannt haben, sagen, was zu solch einem Begriff noch gehört?
Am Begriff Heimat haben sich schon andere die Zähne ausgebissen, ich will mich nicht auf die philosophischen Fragen einlassen oder behaupten, dass das Heimatland ein Gefühl bedeute, und dieses Gefühl erläutern. Heimat muss funktionieren. Wenn sie nicht funktioniert, gibt es auch kein Museum, das sich ihr widmet, keine Kultur. Und wenn es keine Heimat gibt, gibt es keine Vereine, weil jeder sich nur um sich selber kümmert. Das Mutterland kann man als Luxus ansehen, aber falls es funktioniert, greift es in alle Sphären des Lebens ein. Ich gehe in die Gaststätte und esse etwas Hausgemachtes. Man serviert bei uns keine böhmischen Semmelknödel, sondern unsere runde Kartoffelknödel. Wir essen Karpfen, weil sie bei uns gezüchtet werden. Ich erzähle das, weil wenn ich nach Böhmen fahre, vermisse ich meistens die dortige Heimatküche. In Tschechien bekommt man ein gutes Steak, gute Pizza, aber selten etwas vom Ort. Ein Tachauer Hammelfleisch oder einen Hirsch aus Planá habe ich nirgends auf der Speisekarte gefunden. Bei uns sind solche Gerichte geläufig und werden verlangt.
Können Sie noch, hauptsächlich für die Leute hinter der Grenze, das hiesige Vereinsleben beschreiben, insbesondere das hier um das Museum herum?
Die Vereine rund um das Museum sind nicht das Charakteristischste für das hiesige Vereinsleben. In Tirschenreuth wirken mehr als hundert Vereine. In den meisten von ihnen arbeiten junge Leute. Sie widmen sich hauptsächlich dem Sport, vom Reitsport bis zum Fußball. In den Vereinen, die sich der Arbeit rund um das Museum widmen, sind Leute immer mit einem Thema beschäftigt. Zum Beispiel Porzellan, wo in dem entsprechenden Verein auch solche Leute zu finden sind, die in der Porzellanherstellung tätig waren. Die Museumsvereine sind einzigartig darin, dass sich hier vor allem ältere Leute engagieren, die etwas hinterlassen wollen, damit es nicht vergessen wird.
Können wir nun, bitte, die thematischen Bereiche durchgehen, die sich hier im Museum befinden?
Gerne. In drei Häusern haben wir insgesamt 1.500 m2 Museumsfläche, was wirklich viel ist. Den größten Teil bildet das ursprüngliche Oberpfälzer Fischereimuseum. In diesem Museumsteil geht es darum, was in unseren Teichen seit tausend Jahren lebt. Die Leute haben festgestellt, dass bei uns der Regen nicht wegfließt. Es bleibt eine Pfütze, und daraus entstand die Teichwirtschaft. Das Kloster in Waldsassen hat solche Aktivitäten gefördert, weil Fisch eine Nahrungsquelle war. Im Museum selbst haben wir große Aquarien bis 30.000 Liter, darin dreißig Fischarten, die alle hierhergehören. Ich angle selber, seit ich zurückdenken kann und seit meinem 14. Lebensjahr legal, und muss sagen, dass ich von diesen dreißig Arten gut fünfundzwanzig nie begegnet bin. Weil sie scheu sind, aktiv nur in der Nacht oder weil sie selten sind. Unsere Aquarien bieten Kindern und Erwachsenen einmalige Einblicke.
Weiter zeigen wir hier die Geschichte der Stadt. Tirschenreuth war sechs hundert Jahre eine Insel. Mit einem Schloss, mit Fachwerkbauten und allem, was Sie sich vorstellen können. Wenn das bis heute erhalten wäre, würde hier auf meinem Platz ein studierter Fachmann für Touristik mit dreißig Angestellten sitzen. Doch Tirschenreuth ist komplett heruntergebrannt. Seit zwei hundert Jahre gibt es den Teich mit 190 Hektar rund um die Stadt nicht mehr. Das ist interessant, genauso wie die Geschichte unserer Industrie, insbesondere der Porzellanherstellung, die 150 Jahre den wirtschaftlichen Motor der hiesigen Region darstellte. Auch ich bin Zeitzeuge des plötzlichen Verschwindens der Porzellanherstellung hier, nach dem meine Tanten keine Arbeit mehr hatten.
Ein Teil unseres Museums ist den Weihnachtskrippen gewidmet. Am Anfang waren zwei ältere Männer, heute lebt leider nur noch einer von den beiden. Sie wollten herausfinden, wie unsere Trachten ausgesehen haben. Dabei ist ihnen eingefallen, sich die Figürchen von alten Weihnachtskrippen anzuschauen. Und so haben sie einen unglaublichen Schatz gefunden. Nach der Säkularisation, der Enteignung der Kirche, orientierten sich die Bildhauer, die in dieser von den Klöstern dominierten Region gewirkt haben, auf Weihnachtskrippenschnitzerei um. Nachdem Napoleon alle Klöster aufgelöst hat, konnte von ihnen keine Arbeit mehr kommen. In den alten Weihnachtskrippen findet man ganze Szenen aus dem Leben gewöhnlicher Leute, selbstverständlich in zeitgemäßer Kleidung. Diese Szenen erzählen so viel über unsere Region.
In unserem Museum finden Sie auch eine Ikonensammlung, die von Herrn Erich Werner. Er hat selbst Ikonen gemalt und sie auch gesammelt. Kurz vor seinem Tode hat er seine Sammlung unserem Museum vermacht. Dieser Raum strahlt eine sehr besondere Atmosphäre aus.
Im selben Stock finden Sie eine Ausstellung, die dem vormaligen Bezirk Plan-Weseritz / Planá-Bezdružice gewidmet ist. Dieser Teil des Museums ist aufgrund der Aktivität der aus diesem Gebiet Vertriebenen entstanden und zeigt Gegenstände, die sie mit sich gebracht haben. Es ist eine Ausstellung über die hinter der Grenze liegenden Heimat, die man aus Mähring sehen könnte. Es ist keine Ausstellung mit dem Motto „Die bösen Tschechen haben uns vertrieben“, sondern die Botschaft lautet: „So hat es bei uns ausgeschaut, es war wunderbar – und heute sind wir Freunde.“ Wenigstens ich verstehe sie auf diese Weise. Die Versöhnung ist die elementare Voraussetzung einer guten Nachbarschaft. Natürlich gibt es hier auch emotional aufgeladene Elemente, wenn man zum Beispiel ein handgenähtes Bärchen und ein Foto des Mädchens zeigt, das ihn als einziges Dinge mitnehmen konnte. Man kann die Kinder, die ins Museum kommen, fragen, was sie sich auf die Reise mitnehmen würden, wenn sie nur eine Stunde fürs Einpacken hätten und wüssten, dass sie nie mehr zurückkommen. In Tirschenreuth wurde 1985 Johann Andrea Schmeller geboren, der Autor des ersten Wörterbuches über die Mundarten Bayerns. Seiner Persönlichkeit und Arbeit ist im Museum ein Sonderraum gewidmet.
In Tirschenreuth wurde der Maler Maurus Fuchs geboren, der nicht nur hier arbeitete, sondern auch viele Aufträge im Stift Tepl / Teplá bei Marienbad hatte und überhaupt in Böhmen viel gestaltete. Nehmen Sie ihn hier auf als eine Persönlichkeit, die man gemeinsam erwähnen sollte? Maurus Fuchs war ein Künstler vieler Begabungen. Wir haben hier von ihm eine wunderbare Weihnachtskrippe aus Papier. Warum ging solch ein Künstler nach Böhmen, in den Stift Tepl? Weil er hier nach der Säkularisation keine Arbeit mehr bekam. Er war eigentlich ein Arbeitsemigrant. Fuchs ist also interessant aus dem kunsthistorischen Gesichtspunkt und aus dem Gesichtspunkt der Arbeitsuche hinter der Grenze. Wir bereiten gerade eine Ausstellung vor, die sich zur gemeinsamen Reflexion anbietet, insbesondere nachdem seine Fresken in Tepl restauriert worden sind.
Ich bin kein Kunsthistoriker, aber ich mag seine Arbeiten sehr und genieße auch ihre Geschichte. Er war ein Mensch, der nicht gerade einfach seinen Lebensunterhalt auftreiben musste. Er hat sich ein Album der Kupferstiche angeschafft, um zu sehen, wie man Figuren darstellt, und schuf danach. Das Urheberrecht wurde damals nicht anerkannt, und er würde sich ohnehin nicht darum kümmern, er musste sich ernähren. Als ein Handwerker, dessen Talent rechtzeitig erkannt und befördert wurde.
Ist nicht die Bestrebung, „irgendwie sich zu ernähren“, sowieso charakteristisch für diese unsere gemeinsame Region? Karges Land lautet eine der ersten Beschriftungen in Ihrem Museum. Fordert vielleicht hiesige Gegend den Menschen auf, bescheiden und praktisch zu sein?
Als ich angefangen habe, Germanistik und später Journalistik zu studieren, musste ich zuerst erklären, was das ist, und oft bekam die Frage, was will ich damit anfangen. Ich kenne Leute, die sagen, dass ihnen ein rechtschaffener Tischler lieber ist als jemand mit einem Hochschultitel. Ich kann es verstehen. Das Handwerk, das mit beiden Beinen fest auf der Erde steht, ist hier in der Region zu Hause, es gibt ihr ein Profil. Bin auch froh, dass es immer besser bezahlt wird. Das höchste Lob bei uns heißt Passt scho!, etwas wie „Das ist ok!“ Es ist ein Ausruf, der sagt, dass etwas ganz praktisch und ohne Beschönigung in Ordnung ist, und dass es Freude macht. Es ist ein bescheidenes, aber richtiges Lob.