Die Bergmänner brachten dem Staat und der Nation die größten Opfer
Gespräch mit Jan Teplík
Herr Teplík, wie sind Sie nach Plan gekommen?
Nach Plan kamen wir im Jahre 1961. Zwei Jahre davor zogen wir im Rahmen der nachträglichen Besiedlung des Grenzgebietes aus Südmähren nach Gödessin (Dětaň), ein kleines Dorf etwa fünf Kilometer weg von Rudig (Vroutek) im Bezirk Podersam (Podbořany). Mein Vater arbeitete in den Mährischen Lignitbergwerken als Elektriker, später als Bergmann. Dann ging er nach Ostrau, um besser zu verdienen, und erlitt dort einen Unfall. Danach durfte er im Bergwerk nicht mehr arbeiten, und so zogen wir ins sogenannte Grenzland.
Wie alt waren Sie, im Jahre 1961?
Nachdem wir hier nach Plan gekommen waren, besuchte ich noch ein halbes Jahr die dritte Klasse, da war ich neun und halb, geboren im Dezember 1951.
War es ein Kulturschock? Aus Mähren, die ja vom großen Teil lieblich ist, in ein raueres Grenzland zu kommen?
Der Übergang aus mährischem Dubnian nach Gödessin im Marktflecken Pomeisl (Nepomyšl) war schon ein großer Wandel. In Dubnian begann ich in der ersten Klasse einer größeren Schule, doch in Gödessin gab es nur eine Einklassenschule für fünf Jahrgänge. Wir hatten aber einen sehr freundlichen Lehrer. Es ist auch wahr, dass das Wetter dort eher rau war – kälter, aber während der 60 Jahre, die ich in Böhmen lebe, erreichte das hiesige Wetter das südmährische Niveau von damals. Mein heimatliches Mähren habe ich stets unter der Haut. Aber Plan ist für mich die Hauptstadt meines Lebens.
Erinnern Sie sich an das Niederreißen der Häuser auf dem Ringplatz?
Eigentlich wenig, als kleiner Bube nahm ich es nicht richtig wahr. Ich verkehrte wenig auf dem Stadtplatz, wir wohnten in der Karlinerstraße, das ist fast schon der dörfliche Teil Plans. Von der Schule nahm ich den kürzesten Weg nach Hause. Später erinnere ich mich ans Niederreißen der Häuser bei der Post, wo sich die Metzgerei befand.
Warum sind Sie ein Bergmann geworden?
Ursprünglich, als ein dörflicher Junge, wollte ich die landwirtschaftlichen Maschinen reparieren, aber es gab ein großes Gedränge für dieses Fach. Im Halbjahr der neunten Klasse kamen die Anwerber der bergmännischen Berufsschulen aus Ostrauer Region. Sie boten uns verlockende Bedingungen an, zum Beispiel das kostenfreie Internat, bergmännische Uniform, verschiedene Freizeitzirkel u. ä. Ich habe mich für den Schacht entschieden. Wie ich schon sagte, hat mein Vater als Bergmann im Ostrauer Gebiet gearbeitet. Nur zu gut kannte er die schweren Arbeitsbedingungen der Ostrauer Kumpel. Als ich ihm sagte, dass ich Kohle abbauen gehe, erwiderte: „Da werde ich dich lieber gleich umbringen.“ Heute weiß ich schon, warum. Seit den Fünfzigerjahren bis manchmal in die Siebzigerjahre brachten die Bergmänner dem Staat und der Nation die größten Opfer: es herrschten dort dauerhafte Staubigkeit, Vibrationen, Lärm, es gab Grubenerschütterungen und viele Bergwerksunfälle. Das alles forderte einen hohen Tribut an Gesundheit und Leben. Zu der Zeit wurde Kohle überall gebraucht, im Verkehr, für die Kraftwerke, die Heizung, die Republik konnte auf sie nicht verzichten. Solange mein Vater gelebt hat, wurde ich kein Bergmann. Ich erlernte das Reparieren der landwirtschaftlichen Maschinen, wie ich es mir selbst gewünscht habe. Mein Vater starb dann während meines Militärdienstes. Ich diente im slowakischen Sereď. Damals wurden die Tschechen in die Slowakei geschickt, und umgekehrt. Meine Mutter hat damals noch fünf Kinder betreut. Ich wollte gleich nach dem Dienst etwas Geld verdienen und die einzige lokale Chance war, in der Grube zu arbeiten. Ich dachte zuerst nur an ein Jahr, aber der Bergbau ist kein so einfacher Beruf, dass man ihn in einem Jahr wirklich erlernen kann. Das Angebot lautete – drei Jahre oder nichts. So unterschrieb ich auf drei Jahre und dachte, danach werde ich zurückkehren zu meinen Maschinen, weil ich diese Arbeit auch mochte. Nach etwa eineinhalb Jahren wollte ich heiraten und brauchte eine Wohnung. Um dies zu erreichen, musste ich für weitere fünf Jahre unterschreiben. So arbeitete ich diese fünf Jahre ab und es verblieben mir zweiundeinhalb Jahre für derzeitige erste Renten-Kategorie. Solche Leute konnten nämlich schon als 55-jährige in die Rente gehen. So „hielt ich es aus“ bis zehn Jahre. Nach zehn Jahren ist jeder solide Arbeiter schon Fachmann in seiner Profession. Mir wurden zehn Durchschnittslöhne zusätzlich zu den monatlichen Löhnen angeboten, falls ich weitere fünf Jahre unterschreibe. Es hieß, sechs Löhne gleich auf die Hand, die vier übrigen immer nach einem weiteren geleisteten Jahr. Schließlich leistete ich „bei Uran“ dreizehn Jahre unter der Erde ab. Dann erlitt ich einen Arbeitsunfall und wurde auf einem Auge blind. Ich arbeitete noch eineinhalb Jahre auf der Oberfläche und schließlich verließ ich die Uranbergwerke, als die Beschäftigung allgemein herabgesetzt wurde.
In wie vielen Bergwerken haben Sie gearbeitet?
Wie die meisten Leute hier bei Uran stieg ich in den Schacht Nr. 3 in Hinter Kotten (Zadní Chodov) ein. Nach etwa drei Monaten bekam ich einen Passierschein und arbeitete auf dem Tillenberg (Dyleň), der sich in der Grenzzone befand. Einen ähnlichen Uranschacht namens Brunhilde gab es auch auf der deutschen Seite. Ich arbeitete auch kurz als professioneller Bergbau-Rettungsmann und befuhr zu der Zeit den Schacht Wittingreith (Vítkov). Man kann also sagen, dass ich alle drei Uranschächte hier in der hiesigen Umgebung kennengelernt habe.
Könnten Sie sie uns beschreiben, vergleichen? Fast niemand vermag sich es heute noch vorzustellen.
Hinter Kotten und Wittingreith waren durchschnittlich große Schächte. Zusammen mit dem Hilfspersonal konnte in jedem dieser Schächte etwa vierhundertfünfzig Leute arbeiten. Tillenberg war wesentlich kleiner, mit etwa hundertfünfzig bis hundertsechzig Arbeitern. Man hatte dort nicht jeden gelassen. Falls sich z. B. jemand gerade scheiden ließ, hat er seinen Schein verloren. Der Tillenberg-Schacht wurde um das Jahr 1960 geöffnet, 1968 kam eine neue Verordnung, dass alle Uranmacher, die mehr als zehn Jahre unter die Erde gefahren sind, Schluss machen müssen. Man kann also sagen, das eine Partie, die sich auf dem Tillenberg während eines Personalwechsels innerhalb von zwei Jahren gebildet hat, sich dann in den nächsten Jahren fast nicht mehr geändert hat. Ich erinnere mich sehr gerne an diese Zeit. Ein tadelloses Kollektiv hat sich dort damals gebildet.
Hundertfünfzig Leute mit Passierscheinen? Wie sind sie zur Arbeit gefahren?
Mit den Bussen, die Leute aus den Regionen Marienbad und Tachau gefahren sind. Wir sind „auf den Knüppel“ angekommen, wie man sagte, Soldaten kamen, haben die Passierscheine kassiert, und man fuhr zum Schacht. Von der Schranke her – von den Drähten, war es bis zum Schacht noch etwa zweieinhalb Kilometer.
Jeder Arbeitstag also begann für Sie mit einer Kontrolle?
Ja. Als ich 1972 eingetreten bin und jemand hat seinen Passierschein vergessen, genügte es, dem Obersteiger anzurufen, und falls er sagte „Ja, diesen Menschen brauche ich“, konnte man auch ohne Passierschein weiterfahren. Ein paar Jahre später wurde man aber schon in solchem Fall „auf dem Knüppel“ ausgesetzt und man musste eine Stunde warten, bis der Bus mit der vorigen Schicht zurückgekommen ist.
Wie lief die Überprüfung durch? Mussten sie Fragebogen ausfüllen? Hatten sie Besprechungen bei der Geheimpolizei?
An irgendeinen Fragebogen oder an Unterschriften erinnere ich mich nicht mehr. Sie haben möglicherweise Fragen gestellt und etwas notiert, aber das System lief an einem vorbei, entweder man bekam den Passierschein, oder nicht.
Erinnern Sie sich an jemand, der ihn nicht bekommen hat?
Nein, das nicht, aber es war im Vorhinein klar, wer ihn nicht bekommt: der sich in einem Gerichtsverfahren befand, Verwandte im Ausland, also im Westen, hatte, der hinter sich einen Strafvollzug hatte und so ähnlich. Ich habe nur solche gekannt, die ihn verloren haben, als sie sich scheiden ließen oder irgendwo in eine Prügelei geraten sind oder sich im beliebigen Strafverfahren befanden. Sie haben uns bestimmt überprüft, aber man wusste nichts davon. Ich war damals jung. Ich nahm es so, wie es kam: entweder bekomme ich den Passierschein und gehe auf Tillenberg, oder nicht, und ich konnte ja auch im Hinter Kotten bleiben. Oder auf Wittingreith oder auf den Schacht in Scheiben Radaun (Okrouhlá Radouň) gehen, den man damals auch gerade geöffnet hat. Man lockte mich dorthin, aber ich wollte nah bei meiner Mutter bleiben.
Sagten Sie, dass Ihre Mutter fünf Kinder hatte?
Wir waren insgesamt acht Kinder, nach Vaters Tod blieben noch fünf Kinder zu Hause. Ich bin das Zweitälteste.
Haben Sie Armut gespürt, bei so vielen Kindern zu Hause?
Selbstverständlich waren wir arm, Drei vier Kinder, was damals eine übliche Familie war, zu ernähren und zu bekleiden ist sicher einfacher als acht. Vater und Mutter arbeiteten auf dem Staatsgut, wir hatten Hühner, Kaninchen, ein Schwein. Im Gegensatz zu den Stadtkindern kamen wir aus der Schule und mussten helfen gehen. Das Gras mähen für die Kaninchen, die Brennnessel für das Schwein, das Holz hacken und so ähnlich. Wir Älteren mussten morgen das Frühstück vorbereiten. Man musste heizen – damals konnte man nicht bloß einen Knopf umdrehen, und es wäre warm. Ja, es war schwer, so viele Kinder zu ernähren, aber Essen hatten wir genug. Auf den Schacht zu gehen war eine Notwendigkeit, ich musste mich gleich nach dem Militärdienst auf eigene Beine stellen und auch der Mutter helfen.
Wie hat es Ihre Mutter gemeistert?
Sie musste es nicht alleine schaffen, noch war meine ältere Schwester zu Hause. Etwa einundeinhalb Jahr nach Vaters Tod hat sie einen neuen Partner kennengelernt, und mit diesem geschiedenen Mann lebte sie dann weitere fünfundzwanzig Jahre, bis zu seinem Tod.
Zurück unter den Tillenberg. Sie sagten, Ihre Arbeitsgruppe behagte Ihnen?
Ja, mir entsprach das stabile Kollektiv. Den Passierschein konnten die nicht bekommen, die aus dem Knast gekommen waren oder größere Probleme hatten. Vielleicht war auch das der Grund, warum auf dem Tillenberg ruhigere Verhältnisse herrschten. Leute wechselten nur, wenn sie die bewilligte Exposition hinter sich hatten. Damals waren es fünfzehn Jahre, Ende Achtzigerjahre setzte man es auf zehn Jahre herab. Dreitausend zweihundert Schichten bedeuteten fünfzehn Jahre, später waren es zweitausend Schichten.
Das Bergmannsmuseum ist also eine natürliche Fortsetzung Ihrer früheren Existenz als Bergmann im Uranwerk? Wann haben Sie Ihre Arbeit auf dem Tillenberg beendet?
Ich fange vom Ende an. Ich hörte auf dem Tillenberg im Jahre 1985 auf und die Bergwerke wurden Anfang Neunzigerjahre geschlossen. Der Weg zum Bergmannsmuseum war seltsam. Im Jahre 1995 verbrachten wir unseren Urlaub in Zuckmantel (Zlaté Hory). Im dortigen Museum gab es eine ziemlich erbärmliche Ausstellung über den Bergbau. Ein paar Karbidlampen, Uniformen. Im unteren Geschoss hat ein ehemaliger Bergmann, ein Steiger, ein Goldgräbermuseum im Stil des „Wilden Westens“ gezeigt. Einige Colts, ein Schlapphut, ein Bart, einfach ein perfekter Goldsucher. Mein Sohn hat unter diesem Eindruck von einem solchen Museum geschwärmt und meinte, er werde als großer Mann auch so ein Bergmannsmuseum haben. Er erzählte, was er den Touristen sagen und verkaufen würde. Damals sagte ich mir: Wenn die Bergmänner alles abgebaut haben, gehen sie weg, die Schächte werden zugeschüttet und die Halden rekultiviert. Und in ein paar Jahren wird niemand mehr der Bergmänner und der bergmännischen Vergangenheit dieser Region gedenken. Und so hat mich der knabenhafte Traum meines Sohnes über sein künftiges Bergmannsmuseum auf den Gedanken gebracht, in Plan solch ein Museum aufzubauen. Damit man hier nicht nur den Uranbergbau, sondern auch den älteren, mittelalterlichen Bergbau nicht vergisst. Kaum jemand ist sich nämlich der Tatsache bewusst, welch einen Einfluss der Bergbau auf die Entwicklung des tschechischen Staates und der Tschechoslowakei gehabt hat. Zum Beispiel die Schächte rund um Pilsen haben nicht nur die Škoda-Werke geschaffen; auch zum Brauen des berühmten Pilsner Bier wurde die Kohle erforderlich. Als ich hier in Plan die Schule besuchte, hatte ich einen großartigen Lehrer, Herrn Prach. Er lehrte Geschichte und Geographie. Damals konnten und wussten die Lehrer einen Respekt aufrechterhalten. Wenn jemand störte, konnte er ihn mit den Schlüsseln treffen oder ihn richtig bei den Ohren ziehen. Außer anderem erzählte er uns über den mittelalterlichen Bergbau im Plan-Region, aber auch, dass Plan von den Amerikanern befreit wurde. Nach 1989 tauchte der Gedanke auf, man sollte das Stadtmuseum wiederherstellen. Ich sagte mir, dass es wunderbar wäre, wenn man hier eine bergmännische Exposition geschaffen würde, wie ich sie damals in Zuckmantel gesehen habe. Ich wendete mich an Kameraden, die Gegenstände mit Bergbau-Thematik sammelten, vor allem an Herrn Jaroslav Richtermoc aus Marienbad. Ein großer Teil unserer Gegenstände hier in unserem Museum stammt nämlich aus seinen Sammlungen. Und er brachte uns auf die Idee, dass es hier einen Stollen gibt, aus dem man ein Bergmannsmuseum machen könnte. Den Stollen haben bis dahin die gegenüber wohnenden Volfs als einen kleinen Keller benutzt. Er gehört aber der Stadt, und sie hat ihn uns, d.h. dem Bergmannsverein, auf fünfzig Jahre für 1 Krone pro Jahr vermietet.
Nahmen Sie es wahr, dass Sie in einer Stadt leben, die eigentlich noch vor kurzem Deutsch war?
Nicht direkt, aber ich wusste es außer anderem auch von den deutschen Aufschriften, die man von manchen Gebäuden nicht wegzuwischen vermochte, sei es in Gödessin oder in Plan. Ich nahm wahr, dass wir im Grenzgebiet lebten, das schrittweise nachträglich besiedelt wird.
Die „nachträgliche Besiedlung“ ist ja auch keine normale Wortverbindung. Wann haben Sie sie zum ersten Mal gehört?
Die nachträgliche Besiedlung des Grenzlandes war eine Verbindung, die ich von klein auf kannte, genauer gesagt seit der Zeit, als sich die Eltern entschieden haben, aus Mähren wegzuziehen.
Mussten sie alle auf der Tillenbergmine in der kommunistischen Partei sein?
Nein, das mussten wir nicht. Soweit ich weiß, waren es zwanzig, dreißig Leute. Die Schlosser, Elektriker, ein paar Vorarbeiter und Techniker. Die gewöhnlichen Bergwerkhauer haben für ihre Arbeit keine KP-Mitgliedschaft gebraucht. Es dauert ziemlich lange, einige Jahre, bis man es von einem Bergmannshelfer zur Position des Schichtanführers und dann des Vorarbeiters bringt. Erst dann ging es etwas mehr um die Politik, man hatte die größere Chance, als KP-Mitglied ein Vorarbeiter zu werden. Ich trat der KP erst im März 1990 bei.
Das ist ja die Zeit, wo man von ihr massenhaft weggelaufen ist…
Ich glaubte und glaube immer noch an den sozialistischen Gedanken, genauer gesagt an die sozial gerechte Gesellschaft. Nicht aber an eine gleichmacherische. Jetzt bin ich nicht mehr in der KP Böhmens und Mährens. Ich war Anhänger des Namenwechsels der Partei, und der kam nicht durch. Doch dieses Thema zu erörtern wäre für eine längere Debatte.
Das Uran wurde meist für die Atombomben gewonnen. Hat es Sie nicht gestört?
Das Uran wurde im Osten und im Westen für militärische, aber auch energetische Zwecke gefördert. Ich muss gestehen, dass ich mir damals darüber überhaupt keine Gedanken machte. Man wird nicht ein Bergmann, um die Bomben herstellen zu helfen oder sich seine Gesundheit für den Sieg des Sozialismus zu ruinieren. Als ich dorthin ging, hat mir der Betriebsarzt gesagt; „Was kriechst du hierher, du Trottel?“ Heute sind meine Haare weiß, aber damals war ich rothaarig. Das Uran schadet angeblich mehr den Albinos und den Rothaarigen. Doch als ich zwanzig war, sagte ich mir, das mir genügen würde, wenn ich meine fünfzig Jahre erreiche. Ich habe nicht an die Bomben und an meine Gesundheit gedacht. Ich brauchte gleich nach dem Militärdienst zu arbeiten und anständig zu verdienen.
Irgendwelche politische Schulungen, wo sie für ihren schönen Beitrag zu den Bomben gelobt würden, hatten sie keine?
Über Bomben wurde dort nirgends gesprochen. Wir gingen alle auf den Schacht, um Geld zu verdienen, und falls wir den Plan erfüllten, gab es Geld. Die Arbeitsnormen waren zwar hart und auch die Natur wusste uns oft unangenehm zu überraschen. Man bohrt zum Beispiel das Ort der Strecke an. Zwanzigmal, fünfzigmal, die Sprengung ging gut aus. Man kommt, besprengt es, man baggert, bohrt, baut die Strebe auf. Aber einmal sprengt man das Ort ab und es entsteht solch eine Verwüstung, die man dann über drei Schichte hinaus zu bewältigen versucht. Und damit rechnet der Plan nicht und man muss es dann sehr mühevoll einholen.
Wie haben Sie die Grenze wahrgenommen? Konnten Sie fliehen? Wollten Sie es?
Die Grenze haben wir selbstverständlich wahrgenommen, denn wir fuhren ja jeden Tag durch die Drähte, das heißt durch die Signalwand, und sahen die Grenztruppe. Auch sahen wir fast jeden Tag den Förderturm des Schachts auf der anderen Seite der Grenze und das Türmchen der Kirche der heiligen Anna in Mähring. Fliehen konnte ich wohl. Im Jahre 1983 ist ein Bergmann geflogen. Kurz davor, etwa zwei Monate, arbeitete er in meiner Gruppe. Zu der Zeit wurde ihm ein Mädel geboren. Wir haben ihm alle eine große Puppe und eine Kinderausstattung besorgt. Ich verstand seine Flucht nicht. Danach herrschte es auf dem Schacht ziemlich schwüle Atmosphäre. Es war die einzige Flucht während der 15 Jahre, die ich auf dem Tillenberg verbrachte. Ich persönlich wollte nie fliehen. Ich glaubte, dass der Sozialismus besser sein kann. Und ich hatte ja meine Familie.
Haben Sie irgendwann mal eine Schießerei gehört? Haben Sie die Grenze als eine Konfliktsache wahrgenommen?
Eine Schießerei habe ich nie gehört. Als Konfliktgrenze habe ich sie natürlich empfunden. Um Details interessierte ich mich nicht, die Helfer der Grenzwache wussten bestimmt mehr, auch über die Versuche, die Grenze zu überschreiten, aber sie haben nichts erzählt, und wir haben nicht gefragt.
Wie viele Leute haben die Grenze geschützt?
Auf der deutschen Seite angeblich etwa zehn auf fünfundzwanzig Kilometer. Wie viele Soldaten und Offiziere die Grenzwachekompanie hatte, weiß ich nicht. Wir sind an ihrer Kaserne vorbeigefahren und ich denke mir, die Kompanie konnte so an hundertfünfzig Soldaten haben. Wie groß war der Abschnitt, den sie zu bewachen hatten, weiß ich nicht. Auf dem Kontrollpunkt dienten etwa vier Soldaten. Und die deutsche Seite: ja, man brauchte wohl nicht viele, wenn die Tschechen die Grenze so gut bewacht haben, logisch.
Wie haben Sie den Fall der Grenze wahrgenommen? Sind Sie heute froh, dass sie frei ist?
Ich erinnere mich an die Öffnung der Grenze, es war, glaube ich, am 1. Mai 1990. Eine zahllose Menschenmenge wanderte nach Mähring. Zu Fuß, aus Promenhof (Broumov). Ich ging mit, es war ein schönes Wetter und ich war neugierig, wie es dort aussieht. Und der Fall der Grenze? Heute ist der siebzehnte November, der Jahrestag, an dem der Sozialismus zusammenbrach. Ich erinnere mich an das Öffnen der Grenzen seit Sommer 1989. Wie die Ungarn ihre Grenze nach Österreich geöffnet haben. Wie ich schon sagte, glaubte ich an die mögliche Verbesserung des Sozialismus. Als die Grenzen geöffnet wurden, sagte ich mir, das ist ein Prozess, den niemand mehr aufhalten kann, und auf irgendeine Verbesserung des Sozialismus kommt jetzt nicht mehr. Damals glaubte ich noch, dass bei uns ein Modellsystem entstehen könnte, auch für die Leute im Westen. Dass wir das Gute im Kapitalismus und Sozialismus verbinden. Die Öffnung der Grenze ist für mich der Beginn der Zeit, wo wir alles verkauft haben. Heute gehört uns hier fast nichts mehr. Die großen Firmen sind aus dem Ausland, und einen beträchtlichen Teil des Bodens haben die Deutschen oder Niederländer gekauft. Dazu möchte ich noch sagen, dass ich auch gegen den Eintritt in die Europäischen Union gestimmt habe. Nicht dass ich mit der Vereinigung Europas nicht einverstanden wäre, aber weil „blöde Gesetze“ nur schwer in unseren kleinen Bedingungen der Republik geändert werden können, geschweige denn europaweit. Ja, es freut mich, dass die Grenze offen ist, dass wir frei reisen können. Doch heute freut es mich nicht, dass die EU unfähig ist, ihre Grenze zu verteidigen und zu behüten.
Ist es nicht gleich, ob ein Haus, das stürzt – und es waren hier viele, die stürzen und gestürzt haben –, ein Tscheche oder ein Niederländer herrichten wird?
Ich spreche nicht von den Instandsetzungen der Häuser, sondern von den Kapitalanlagen. Das ist was Anderes.
Hier stürzte früher die Welt, jetzt stürzt sie nicht mehr…
Die Welt stürzte vielleicht, weil hierher nach der Abschiebung der Deutschen nicht genug Leute kamen, um das Gebiet nachträglich zu besiedeln, und es spielte auch eine Rolle, dass „alles dem Staat gehört hat“. Ich denke aber, dass ohne die Abschiebung nach dem Krieg hätten wir hier in den Neunzigerjahren einen ähnlichen Krieg wie in Jugoslawien. Die Öffnung der Grenzen empfinde ich als ein Widerspruch. Ich denke auch, dass eine Grenze uns vor der Invasion aus den übervölkerten Gebieten schützen sollte. Am einundzwanzigsten November 1989 war ich in Prag, auf der Demonstration auf dem Wenzelsplatz, wo man mit den Schlüsseln das Ende der Herrschaft der Kommunisten eingeläutete. Nie in meinem Leben hatte ich und werde auch sicher nie solch ein widersprüchliches Gefühl haben wie damals, als Leute um mich herum mit den Schlüsseln klingelten. Einerseits war ich froh, dass der schlechte Kommunismus – Sozialismus stürzt. Andererseits war ich traurig, weil ich unterschwellig geahnt habe, dass wir verloren haben und dass uns viele unbekannten, unguten Sachen erwarten. Es ist ein seltsames Gefühl, wenn sich alle um den Menschen herum freuen und klingeln. Und man steht und tut nichts. Wissen Sie, dass eine der wichtigsten Parolen des Novembers 1989 war: Wir wollen Sozialismus ohne Fehler? Als wir im Kommunismus die Lieder des verbotenen Karel Kryl gehört haben, war es seltsam, dass man fürs Anhören solcher Musik ins Gefängnis kommen oder seinen Passierschein, das heißt die Arbeit, verlieren könnte. Damals hielt ich die KP-Funktionäre von der Ebene der Bezirksleitung und höher für die größten Schädiger des Sozialismus. Heute weiß ich schon, dass es nicht die Fehler der Funktionäre waren, sondern des ganzen Systems.
Wie viele Leute kommen jährlich in Ihr Museum?
Rund um zwei Tausend, die etwa drei bis vier hundert nicht zahlende Schüler, die vom Ort sind, mitberechnet, und auch die Besucher der Bergmannsfeier u. ä. Die Besucherzahl hängt natürlich vom Wetter ab. Wenn’s regnet, ist es besser. Auch die Niederländer, die das nahe Camp in Bruck am Hammer (Brod nad Tichou) besuchen, kommen zu uns. Am Anfang begleiteten wir die Besucher persönlich, im Jahre 2005 haben wir noch einen neuen Ausstellungssaal angebaut, und dann war eine Stunde schon für die Besichtigung zu wenig. Dank der Partnerschaft mit den deutschen bergmännischen Vereinen und mit einer Förderung vom Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds konnten wir uns einen Audioführer in der deutschen und tschechischen Sprache anschaffen. Eine gedruckte Darlegung gibt es bei uns auf Deutsch, Englisch, Niederländisch, Russisch und Tschechisch. Wir können auch einen Bus Touristen abfertigen, wenn wir sie in Gruppen von 15 Leuten verteilen, die sich dann in der Besichtigung des Museums eine nach der anderen abwechseln.
Dies ist ein Vereinsmuseum. Wie viele Mitglieder hat der Verein?
Als wir angefangen haben, waren wir mehr als hundert, doch die Aktivität der meisten beschränkte sich aufs Bezahlen des Mitgliedsbeitrags. Viele sind inzwischen in die Ewigkeit eingegangen. Heute gibt es uns etwa zwanzig, mehr oder weniger aktiv sind sieben. Den Betrieb während der touristischen Saison besorgt ein Mensch. Im Vertrag mit der Stadt steht, dass im Falle eines Erlöschens des Vereins wird das Museum von der Stadt übernommen. Sie bezahlt für uns schon seit Jahren den elektrischen Strom und die Versicherung, steuert auch etwas zum Lehrpfad bei, genauso wie zu unserer bergmännischen Feier. Die Subvention bewegte sich in den letzten Jahren rund um 75 000 Kronen jährlich. Was wir erwirtschaften, geben wir für die Instandhaltung und die Verbesserung der Exposition aus, daneben auch für die Reisen zu den bergmännischen Feiern in anderen Städten und nach Ausland. Die meisten Veranstaltungen haben wir im benachbarten Deutschland, wo wir viele gute Freunde haben.
Sind Sie stolz darauf, dass sie hier ein Bergmannsmuseum gegründet haben?
Ja. Ich glaube, dass das in den Stollen führende Portal, das wir hier aufgebaut haben, bleibt mehrere Jahrhunderte stehen, auch wenn das Museum eines Tages nicht mehr existieren wird. Man wird gewusst haben, dass hier ein bergmännisch-historischer Verein wirkte. Auch ich habe ein gutes Gefühl, dass ich hier in Plan irgendeine Spur hinterlassen habe. Das Motiv der heiligen Anna auf hiesigen Šlikschen Dukaten ist eines der besten Motive für Plan.