Bärendreck im Gepäck
Ich kann so ziemlich alles essen. Nur Leber und Lakritze bringe ich einfach nicht hinunter. Das tschechische Wort für „Leber“, játra, habe ich schon sehr bald im Wörterbuch nachgeschlagen und in meinem Gedächtnis verankert, damit ich sie mir niemals in einem Restaurant versehentlich bestelle. Erst mit Verspätung ist mir allerdings aufgefallen, dass játra nicht etwa ein weiblicher Singular, sondern ein sächlicher Plural ist. In Tschechien gibt man sich offenbar gern dem Glauben hin, dass nicht nur die Lunge und Niere, sondern auch die Leber paarweise im Körper vorhanden ist – aus gutem Grund, würde ich sagen. Wie hingegen Lakritze auf Tschechisch heißt, habe ich erst im März dieses Jahres gelernt, als ich auf dem Pilsener Ostermarkt an einem Stand vorbeispazierte, der meinen Feind feilbot. Auf dem Schild stand „pendreky“. Der Plural von „pendrek“ also.
Wenn ich als Kind Märchen las, stolperte ich zuweilen über das Wort „Felleisen“. Aus dem Zusammenhang war stets klar, dass es sich um ein Gepäckstück handeln musste, eine Art Rucksack höchstwahrscheinlich: Ein Handwerksbursche auf Wanderschaft machte irgendwo Rast, und am nächsten Morgen schulterte er sein Felleisen und zog weiter. Rätselhaft blieb mir das Wort trotzdem. Ich stellte mir darunter immer einen eisernen Behälter vor, der mit einem Fell bespannt ist. Einem Katzenfell vielleicht.
Erst mein Französischlehrer am Gymnasium sorgte für Klarheit. „Felleisen“, erklärte er uns, sei eine Verballhornung des französischen Wortes „valise“ – „Gepäck“. Viele Wörter seien, so fuhr er fort, von Frankreich nach Deutschland gewandert, und manche von ihnen hätten auf dem Weg ihre Gestalt geändert, um sich der Zielsprache anzupassen.
Aber es gab auch den umgekehrten Weg. Im Französischen existiert das merkwürdige Wort „vasistas“, und es bezeichnet ein kleines Guckfenster neben der Haustür, durch das man sehen kann, wer Einlass begehrt. Angeblich liegt diesem Wort die Frage „Was ist das?“ zugrunde, gestellt von deutschen Soldaten.
Was bedeutet dies alles für meinen Erzfeind „Lakritze“? In Bayern heißt sie Bärendreck. Pendrek könnte also von Ost nach West gewandert sein, wo man ihn in „Bärendreck“ verwandelte, um ein Wort zu kreieren, das man irgendwie verstehen kann. Ebensogut könnte aber Bärendreck von Bayern nach Böhmen gewandert und dort zu „pendrek“ entstellt worden sein, ebenso, wie die verständliche Frage „Was ist das?“ zum unverständlichen Wort „vasistas“ mutierte.
Wo ist die Wahrheit? Ich werde sie nur finden, wenn ich herauskriege, ob dieses perverse Zeug namens Lakritze in Tschechien oder Deutschland erfunden wurde. Hoffentlich wird mir auf dem Weg zur Wahrheit nicht schlecht.