Füchse und Rehe
Noch immer gehe ich offenbar viel zu sorglos und naiv durchs Leben, trotz meines nicht mehr ganz jugendlichen Alters, und ziehe keine Lehren aus meinen Erlebnissen – nicht einmal aus denjenigen, über die ich geschrieben habe. Anders kann ich nicht erklären, wie es dazu kam, dass ich erneut eine heikle Situation heraufbeschwor.
In der tiefsten Oberpfalz, dort also, wo deutsche Rehe und tschechische Füchse einander Gute Nacht sagen, verschlug es mich in eine Kneipe, wo zu später Stunde noch fröhlich gefeiert wurde. Es handle sich um den Geburtstag der Wirtin, erfuhr ich von den Gästen beim ersten Bier, und schon beim zweiten wünschte ich ihr, auf ihren Akzent aufmerksam geworden, auf Tschechisch alles Gute. Sie war zwar, wie sich dann herausstellte, Slowakin, aber den Großteil ihres Lebens hatte sie in Westböhmen verbracht. Wir kamen bei einem weiteren Bier in ein angeregtes Gespräch und ignorierten den betrunkenen Gast zwischen uns, der sich immer heftiger darüber beschwerte, dass er kein Wort verstehe. Als er mit der Faust auf den Tisch schlug und schrie, dass wir gefälligst Deutsch reden sollen, wechselten wir nicht die Sprache, sondern das Thema und machten uns ebenso einträchtig wie ungehemmt über ihn lustig, was er nicht verstand, aber wahrscheinlich ahnte. Weitere Male sauste seine Faust auf den Tisch, irgendwann fiel ein Bierglas zu Boden. Dann, beim nächsten oder übernächsten Bier, fiel mir auf, dass der deutsche Lebensgefährte der Wirtin ebenfalls am Tisch saß und nicht unbedingt den Eindruck machte, als würde er mich jemals zum besten Freund haben wollen.
Vielleicht war es mein Glück, dass sich plötzlich am entgegengesetzten Ende des Tisches zwei Gäste dermaßen in die Haare gerieten, dass sie von den anderen gebändigt werden mussten, um ein Blutvergießen zu verhindern. Unverdientes Glück, dachte ich am nächsten Morgen beim Kaffee. Hätte man mir nicht für meinen schäbigen Charakter ein paar hineinhauen und mich dann aus der Kneipe werfen sollen? Ich gelobte Besserung. Beim nächsten Ausflug in die Oberpfalz, nahm ich mir vor, werde ich jeder Versuchung, Tschechisch für Lästereien zu missbrauchen, widerstehen, werde keine Kneipen mehr aufsuchen, sondern die Natur durchstreifen und um jeden Menschen einen großen Bogen machen – nur, in welcher Sprache soll ich den Füchsen und Rehen Gute Nacht wünschen, um kein Unheil anzurichten?