Die drei Geschlechter des Biers
Ich habe eine australische Bekannte, die schon lange Jahre hier lebt. Sie hat sich einen respektablen Wortschatz erworben, kann sich in jeder Lebenslage gewandt auf Deutsch ausdrücken, beherrscht alle Tempora und Modi, aber die grammatikalischen Geschlechter wirft sie wild durcheinander. Man kann ihr keinen Vorwurf machen. Als wären die realen Geschlechterkonflikte nicht schon schlimm genug, setzt man sie in Deutschland in der Sprache fort. Die Luft, die Kluft, aber der Duft; die Maus, die Laus, aber das Haus: So gut wie jede Regel scheint mindestens eine Ausnahme zu haben. Dann gibt es noch eine Reihe von Substantiven, über deren Genus man sich nicht einig werden konnte, und so existieren nebeneinander der Sakko und das Sakko, der Bonbon und das Bonbon, der Dotter und das Dotter, um nur drei von rund sechzig zu nennen. Und schließlich diejenigen Substantive, die gewissermaßen doppelt existieren, in zwei Geschlechtern und zwei Bedeutungen, und wahrscheinlich schon viele Deutschlernende zum Weinen gebracht haben: der Hut und die Hut, die Kiefer und der Kiefer, der Kunde und die Kunde, und so fort.
In diesem Punkt ist Tschechisch ein Muster an Eindeutigkeit, und ich wage zu behaupten, dass von den Fehlern, die ich mache, kaum einer darauf beruht, dass ich ein Substantiv dem falschen grammatikalischen Geschlecht zuordne. Nur beim Bier, wo sonst, entfaltet sich auch sprachlich ein großer Variantenreichtum. In Tschechien kann man es männlich, weiblich und sächlich bestellen. Eine der Kleinbrauereien bei Pilsen zum Beispiel hat ein Kameník (Steinmetz) und eine Karolina im Sortiment. In Deutschland würde man beide in Neutra verwandeln, weil man sich „das Bier“ immer zum Namen dazudenkt; in Tschechien dagegen hat der Name Vorrang, und so bestellt man sich dort nicht ein, sondern einen Steinmetz, nicht ein, sondern eine Karolina, ebenso natürlich auch einen Budvar. Andererseits kann ich auch das männlichste Bier verweiblichen, indem ich es nach seinem Stammwürzegehalt bestelle – ein 10grädiges ist dann eine weibliche desítka, die als schlichtes pivo wieder sächlich wird.
Dennoch, im Vergleich mit der deutschen Sprache bleibt die Situation übersichtlich, so dass man in Tschechien selbst dann, wenn die Artikulation undeutlich zu werden beginnt, also etwa nach dem zehnten Bier, keine Schwierigkeiten haben sollte, sich grammatikalisch korrekt ein elftes zu bestellen.
Elmar Tannert