Lied über Jasmin
Zwischen Hana Hegerovás Musik und mir lag lange Zeit ein dunkler Schatten aus der Vergangenheit. Eine verflossene Liebe hatte mir vor fast zwanzig Jahren zum endgültigen Abschied eine Cassette mit einem Querschnitt aus Hegerovás Oeuvre in die Hand gedrückt, die ich mir zwei- oder dreimal anhörte und dann in einer Schublade vergrub, obwohl mir die Musik gefiel.
Als ich mich im Tschechischen weit genug fortgeschritten glaubte, holte ich die Cassette wieder hervor, besorgte mir im Internet die Songtexte und fühlte mich eigenartig berührt davon, dass einige der Lieder, wie das von Váňa und seiner unglücklichen Liebe zur Zirkusartistin, ganz merkwürdige Anspielungen auf unsere damalige Beziehung zu enthalten schienen. Aber mir gefiel Hana Hegerovás Stimme, außerdem war ich der Lehrbücher überdrüssig, und so besorgte ich mir eine CD mit einer Auswahl anderer Lieder, um mir einen musikalischen Nebenweg ins Tschechische zu bahnen.
Auf diesem Weg entdeckte ich im „Lied über Jasmin“ eine Formulierung, die bis heute zu meinen Lieblingen zählt. Im ersten Moment empfand ich sie als sehr fremd, im zweiten verstand ich sie und schon im dritten fand ich es schade, dass sie im Deutschen nicht existiert. „Nechci už lásky žádné, chce se mi spát“, endet das wehmütige Lied über das Aufwallen und Verebben der Gefühle, „ich will der Liebe nicht mehr, ich möchte schlafen gehen“, doch in Wahrheit singt Hana Hegerová „es will sich mir schlafen“, und das finde ich wunderschön. Doch was mich als Fremden wie eine kleine poetische Perle anmutete, ist in der tschechischen Wirklichkeit gar keine. Jemand, der Übelkeit verspürt, kann zum Beispiel, bevor er zur Toilette rennt, noch schnell sagen: „Chce se mi zvracet“ – „Es will sich mir übergeben“, und wer keine Lust zu etwas hat, sagt „nechce se mi“ – „es will sich mir nicht“.
Trotzdem – man lernt Sprachen nicht nur, um sich zu verständigen, sondern eben auch, um hin und wieder hübsche Perlen zu finden. Selbst wenn es keine echten sind.
Elmar Tannert