Als Habenichts in Lísková
Die Deutschen haben manchmal ein Problem mit ihrem „ä“, und zwar insbesondere dann, wenn sie es lang sprechen sollen, wie zum Beispiel in „Käse“. In Norddeutschland macht man aus dem Käse einen Keese, in Bayern einen Kas. Richtig zum Tragen kommt das gedehnte „ä“ in Deutschland nur, wenn jemand nach Worten sucht: „Ich – äh – wollte sagen – äh, dass – äh …“ In Tschechien wiederum hat man mit diesem Laut keine Probleme, denn dort klingt das „e“, egal, ob lang oder kurz, immer wie ein deutsches „ä“ und kommt so häufig vor, dass ein Deutscher, der des Tschechischen nicht mächtig ist, den Eindruck bekommen kann, es mangele den Menschen im Nachbarland an Eloquenz.
„Wieso sagen die eigentlich dauernd ‚äh‘?“ fragte mich einmal ein Bekannter, nachdem er in der „Hospoda Kaiserburg“, ein tschechisches Lokal in Nürnberg, eine Weile die Gäste am Nebentisch belauscht hatte. „Können die nicht richtig Tschechisch?“ „Doch“, sagte ich, „können sie. Obwohl die Sprache so schwierig ist. Aber anscheinend verwenden sie gerade sehr viele weibliche Adjektive im Genitiv, eventuell kommen auch ein paar sächliche Nominative und Akkusative vor. Da lautet die Endung immer ‚é‘, und das klingt für uns wie ‚äh‘.“
Diese unterschiedlichen „e“-Gewohnheiten machen den Wechsel von der einen in die andere Sprache nicht ganz einfach. Jana zum Beispiel neigt dazu, sich im Lokal „Tää“ statt „Tee“ zu bestellen, während ich mich dazu zwingen muss, wirklich „wäwäwä“ zu sagen, wenn ich eine Internetadresse auf Tschechisch nenne. Soweit zum Problem mit „e“ und „ä“.
Als ich mich vor ein paar Tagen nach einer Rundwanderung über den Čerchov und Sádek an der Tankstelle am Grenzübergang Waldmünchen/Lisková befand, gesellte es sich zu einem ganz anderen Problem – nämlich dem, dass ich kaum noch Bargeld bei mir trug und erst in dem Moment, als ich den Tank gefüllt hatte, die Aufschrift auf der Zapfsäule bemerkte, die besagte, dass keine Kreditkarten akzeptiert werden. Kurz überlegte ich, ob ich mein Geständnis an der Kasse mit den wahrheitsgemäßen Worten einleiten sollte, dass ich soeben zu Fuß aus Nemanice, haha, eingetroffen bin, hielt mich dann aber zurück – wer weiß, ob dieser Scherz in Tschechien nicht schon ein wenig überstrapaziert ist.
Das Krisengespräch verlief zunächst reibungslos. Der Stolperstein kam erst mit der Frage nach dem Autokennzeichen, das der Kassierer von seinem Platz aus nicht sehen konnte. „N – EO pět nula sedm“, erwiderte ich. „N – co?“ Gottseidank hatte ich augenblicklich die richtige Assoziation: Ich sah Jana vor mir, wie sie sich in Nürnberg einen „Tää“ bestellt – und den Kellner, der nicht versteht, was sie will. „N – ÄO“, verbesserte ich mich also, und der Mann an der Kasse schrieb „N – EO“ in sein Formular.
Manchmal besteht die Sprachbarriere nur aus einer Kleinigkeit – eben einem „e“ oder „ä“. Andere Male wieder sind die Wege zwischen dem Tschechischen und dem Deutschen verschlungen und rätselhaft. So frage ich mich bis heute: Wie kam es, dass aus dem Dorf Wassersuppen nicht etwa Vodní Polévka, sondern Nemanice wurde – „Habenichts“?