Herr Kochtenicht
In der Prager Zeitung wurden die Minister des neuen tschechischen Kabinetts vorgestellt, und auf den ersten Blick entdeckte ich einen Herrn Hahn, einen Herrn Wunderlich, einen Herrn Schüler und einen Herrn Pferdchen oder Rößlein, den man auch als Steckenpferd übersetzen könnte. Dann griff ich zum Wörterbuch, um die anderen Namen zu prüfen, machte aber keine nennenswerten Entdeckungen mehr. Nur beim Verteidigungsminister Picek glaubte ich, einen gewissen Zusammenhang mit píce, Futter, zu erkennen; falls das zutrifft, so wäre er ein idealer Partner für das Pferdchen, das womöglich aber auch nur das hölzerne Steckenpferd des Schülers ist.
Nun gibt es natürlich auch in Deutschland eine Menge sprechender Namen; nur sind sie, scheint mir, besser getarnt als in Tschechien. Viele haben sich in ihrer ursprünglichen Form erhalten, während die Sprache sich verändert hat, und oft sind sie heute mit ganz anderen Assoziationen belegt. Bei “Langnese” denkt man an Eis, aber nicht daran, daß irgendein Urahn der Familie eine bemerkenswert lange Nase gehabt haben muss; hört man den Namen “Scheel”, denkt man an den ehemaligen Bundespräsidenten Walter Scheel, aber nicht unbedingt daran, dass einer seiner Vorfahren offenbar stark geschielt hat. Auch die nicht ganz jugendfreie Bedeutung des Namens “Wackernagel” fällt heute nicht mehr vielen Menschen auf – nämlich, dass irgendein Ur-ur-ur-Großvater vor vielen hundert Jahren sehr wacker “genagelt” haben muss.
Ein Name wie “Theuerkaufer” dagegen sendet auch heute noch eine unmissverständliche Botschaft aus; sein ziemlich exaktes Gegenstück in Tschechien lautet “Drahokoupil”, “er kaufte teuer”. Der Unterschied ist nur, dass man in Deutschland sehr selten jemandem vorgestellt wird, der dazu verurteilt ist, eine Fehlleistung oder ein Missgeschick aus alten Zeiten in seinem Namen zu tragen, während es in Tschechien von Drahokoupils und ihresgleichen nur so wimmelt. Oft liegt der Verdacht nahe, dass sich der Vorfall, der dem Namen zugrundeliegt, in einer Kneipe abgespielt hat – etwa so:
Ein sehr redseliger Herr, den man später “Drbal” nennen würde, ging einem anderen Gast mit seinem Tratsch derartig auf die Nerven, dass dieser ihm kurzerhand die Zähne einschlug und fortan “Zatloukal” genannt wurde. Der Vorfahre von Herrn Stojespal dürfte davon nichts mitbekommen haben, denn er war in irgendeiner Ecke im Stehen eingeschlafen, ebensowenig Herr Zmeškal, “Er hat versäumt”, ganz im Gegensatz zu dem, der die Sache zu Protokoll gab und fortan “Ontověděl” genannt wurde, “er hat‘s gewusst”.
Was ich lange Zeit nicht wusste, ist, dass im alten Böhmen auch der Umstand, etwas unterlassen zu haben, namensbildend wirken konnte – bis ich mit einem Herrn zusammentraf, der sich als “Nevařil” vorstellte und damit zugleich als Nachfahre eines Menschen, der sich mit unglaublicher Hartnäckigkeit geweigert haben muss, zu kochen.
Schade, dass diese Art der Namensbildung nicht auch in anderen Ländern verbreitet ist. Nicht nur für die tschechische Politik wäre es eine großartige vertrauensbildende Maßnahme, wenn man ein Kabinett aus Politikern namens “er stahl nicht”, “er log nicht”, “er betrog nicht”, “er protzte nicht”, “er prasste nicht”, “er enttäuschte nicht” zusammenstellen würde. Und damit es unter all diesen integren Charakteren nicht zu fad wird, sollte man unbedingt auch die drei Herren Kratochvíl (Kurzweil), Masopust (Fasching) und Šašek (Spaßmacher) zu Ministern ernennen.
Elmar Tannert