Urlaub auf Tschechokroatisch
Die Sehnsucht meiner Freundin nach Meer kann Tschechien leider nicht stillen. Also fuhren wir nach Kroatien. Einer meiner ersten Wege am Urlaubsort führte mich in eine Buchhandlung, wo ich ein Wörterbuch erstand, um in den folgenden Tagen am Strand die sprachlichen Verwandtschaften auszuloten. Das Vokabular für unseren Getränkebedarf – Bier, Wein, Wasser, Tee, Kaffee – kam uns auf Anhieb sehr vertraut vor, und so fielen uns kleine Umstellungen, wie etwa von bílé vino auf bijelo vino, nicht schwer. Auch andere Lautverschiebungen bekamen wir bald in den Griff.
Wenn uns der Magen knurrte, hatten wir keinen tschechischen hlad, sondern kroatischen glad, wenn wir einen Kater hatten, schmerzte uns der Kopf als glava anstatt als hlava, und eine Burg besichtigten wir als grad genauso gerne wie als hrad. So radebrechten wir uns fröhlich mit tschechokroatisch durch den Urlaub und ließen uns von der kleinen Handvoll falscher Freunde, die wir nach und nach entdeckten, nicht weiter stören.
Dass die tschechische Stunde, hodina, fatal nach dem kroatischen Jahr klingt, godina – was macht das schon im Urlaub, wo die Zeit ohne Termine dahinfließt? Lustig fanden wir auch die Vorstellung, dass ein Tscheche vom Wort kat, das in Kroatien nicht Henker, sondern Stockwerk bedeutet, unangenehm überrascht sein könnte.
Auf dem Heimweg allerdings, den wir durch Tschechien nahmen, ergriff uns wieder der Ernst des Lebens. Nämlich in Krumau, wo wir Station machten, um das Schiele-Museum zu besuchen. „Wie lange wollen Sie parken?“ fragte der Parkplatzwächter, und augenblicklich packte mich Panik. Durch meinen Kopf spukten die ungleichen Zwillinge hodina und godina – wer von beiden war die Stunde, wer das Jahr? Keinesfalls wollte ich die Frage mit „drei Jahre“ beantworten. Aber wenn „hodina“ Jahr bedeuten sollte – was heißt dann „Stunde“?
Ich suchte Zuflucht bei meinen halbvergessenen Lateinkenntnissen. Bei den alten Römern hieß die Stunde „hora“, und irgendwie kam mir das auch als tschechisches Wort bekannt vor. „Tři hory“, sagte ich also, und da mir der Parkwächter prompt ein Ticket aushändigte, hatte ich offenbar das richtige Wort getroffen. Erst später, in einem Café, als ich mich mit den Worten „Kolik máme hodin?“ nach der Uhrzeit erkundigte, dämmerte mir die Erkenntnis, dass ich nicht drei Stunden, sondern – natürlich! „hora“, der Berg! – drei Berge Parkzeit angekündigt hatte.
Doch was, überlegte ich, ließ sich daraus folgern, dass der Mann im Kassenhäuschen meinen Irrtum offenbar blitzschnell in Gedanken korrigiert hatte? Ist er in der Touristenhochburg Krumau daran gewöhnt, seine Muttersprache aus dem Mund von Ausländern grausam entstellt zu hören? Nein, dachte ich. Er ist in all den Jahren seiner beschaulichen Tätigkeit zum Philosophen geworden, der sich schon lang, bevor ich kam, einmal fragte: „Ist eine Stunde nicht einfach nur ein Berg in der Zeit?“
Elmar Tannert