Der seidene Sonnenschirm des fleißigen Schlossers
Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk von Jaroslav Hašek kennt jeder. Eher weniger bekannt sind Hašeks Artikel, die er für die Zeitschrift “Svět zvířat” schrieb, zu Deutsch: “Welt der Tiere“. In den Artikeln ging es unter anderem um Papageien, die sich betrinken, und um die Zucht von Werwölfen – so lange, bis der gute Ruf der Zeitschrift ruiniert war und Hašek hinausgeworfen wurde.
Vor kurzem glaubte ich, ein weiteres unbekanntes Werk aus seiner Feder in Händen zu halten, verfasst unter dem Pseudonym Emil Novák, mit dem Titel: “Der perfekte Böhme”. Es handelt sich um eine “Anleitung, die böhmische Sprache ohne Lehrer richtig lesen, schreiben und sprechen zu lernen” und stammt aus dem Jahr 1900. Auf dem ersten Blick vermutete ich in dem Büchlein die Fälschung eines Sprachlehrwerks, die nur an einem Kneipentisch entstanden sein konnte, so aberwitzig fand ich die Übersetzungsübungen: “Haben Sie mein altes Umhängtuch?” – “Ich habe Ihr altes hässliches Tuch und Ihren schönen Rock.” – “Haben Sie den Baum des Gärtners?” – “Ich habe weder den Baum des fleißigen Gärtners, noch den Baum des klugen alten Försters.” – “Was hat Euer Bruder?” – “Mein Bruder hat die hohe Linde des gütigen Gärtners.”
Aber der erste Eindruck trügte. Tatsächlich stellt “Der perfekte Böhme” alle modernen Lehrbücher in den Schatten, und man fragt sich schon bei Emil Nováks Vorwort, ob die Sprachdidaktik in den vergangenen 110 Jahren wirklich Fortschritte gemacht hat. Er schreibt: “Ich möchte zunächst dem Vorurtheile hinsichtlich der angeblichen Schwierigkeit entgegentreten und direkt behaupten, dass Böhmisch erheblich leichter zu erlernen ist als eine romanische Sprache.” Das ist ein ganz anderer Ton als in den heutigen Büchern, in denen der Autor üblicherweise erwähnt, wie sehr er sich bemüht habe, dem Lernenden die besonders schwierigen Themen, wie etwa den “Aspekt”, leichtfasslich nahezubringen.
Außerdem fördert die alte Bezeichnung “Böhmisch” den Lernoptimismus ganz beträchtlich, denn “Tschechisch” klingt dem deutschen Ohr schwierig und fremd, “Böhmisch” hingegen vertraut, zumal nicht wenige Deutsche den Familiennamen “Böhm” oder “Böhme” tragen. Doch die Psychologie ist natürlich nicht das ganze Geheimnis von Nováks Methode. Erst beim Durcharbeiten der Übersetzungslektionen merkt man, was für ein genialer Schachzug hinter den dadaistischen Sätzen steckt: Frei von allen Sinnfragen und ohne den Druck der Alltagstauglichkeit wird man mit der Struktur der Sprache vertraut, die erst später mit Sinn gefüllt wird. Und, ehrlich gesagt: Ich habe mich schon immer zu Tode gelangweilt, wenn ich Sätze lernen musste wie: “Entschuldigen Sie, welche Straßenbahn fährt zum Haupbahnhof?” Viel lieber lerne ich: “Fragen Sie den Schlosser, ob er das schwere Eisen hat! – Er hat es nicht, sein Sohn trägt es zum Tischler.”
Man wird solche Sätze niemals brauchen können, aber gerade deshalb sind sie wunderschönes Spielmaterial, das geradezu danach schreit, zu etwas Neuem geformt zu werden. Daher wird es gewiss nicht ausbleiben, dass „Der perfekte Böhme“ meinen Konversationsstil prägen wird, und schon heute sehe ich mich unter der hohen Linde am hölzernen Tisch des gütigen Gastwirts sitzen und höre mich fragen: “Haben Sie das frische Bier des fleißigen Brauers?” Die schönste Antwort, die mir der Wirt darauf geben könnte, würde lauten: “Ich habe nicht nur das frische Bier des fleißigen Brauers, sondern auch den samtenen Wein des mährischen Winzers und den starken Schnaps des klugen Bauern.” Denn sofern ich als noch nicht perfekter Böhme den tschechischen Außenminister Karel Schwarzenberg in der Sendung “Uvolněte se, prosím!” richtig verstanden habe, sagt er, man müsse sich durchsaufen, um Europa wirklich kennenzulernen. Dann also prost – auf den perfekten Böhmen!