Türkische Ostern
Neulich waren wir in Domažlice, sahen uns ein wenig in der Stadt um, aßen in einem gemütlichen kleinen Restaurant und bestellten uns zum Abschluss einen türkischen Kaffee. Den konnten wir nicht komplett austrinken, denn schon nach wenigen Schlucken verspürten wir Herzrasen.
“Schmeckt der Kaffee nicht?” erkundigte sich der Wirt besorgt. “Er ist ein wenig stark”, sagten wir.
Der Lokalinhaber schien uns ein Mensch zu sein, mit dem man offen reden kann, und also fassten wir uns ein Herz und fügten hinzu: “Und außerdem ganz anders als der türkische Kaffee, den die Türken in Deutschland servieren. Vielleicht gab es da irgendwann einmal ein Missverständnis?” Offen gesagt, ich hatte schon mehrmals, wenn ich in Tschechien einen türkischen Kaffee konsumierte, das Gefühl bekommen, dass das Verhältnis der beiden Völker zueinander nicht ganz in Ordnung sein kann. Der Wirt aber konnte uns in dieser Frage nicht weiterhelfen, und ich beschloss, eine sprachliche Antwort zu finden und zuhause wieder einmal im Türkisch-Lehrbuch zu blättern, das ich mir schon vor Jahren gekauft hatte.
Bald stand mir klar vor Augen, dass Tschechen und Türken sprachlich völlig inkompatibel sind. Die einzige Schnittmenge zwischen ihnen ist čaj beziehungsweise çay, der Rest ist eine Katastrophe. Als Deutscher weiß man, dass das “ü” bei Slawen nicht eben beliebt ist – und so kann man sich zumindest ansatzweise ausmalen, welche Schauer des Entsetzens durch einen Tschechen jagen, der Ohrenzeuge einer fröhlichen türkischen “ü”-Orgie wird, etwa in dem Satz “Bu bay müdürümüzdür” – “Dieser Herr ist unser Direktor.”
Man sieht an diesem Beispiel nebenbei, dass Vokale und Konsonanten im Türkischen ziemlich gleichmäßig aufeinander folgen. Daher bekommen Türken Schweißausbrüche, wenn man sie mit Konsonantenhäufungen bei gleichzeitigem Vokalmangel konfrontiert. Ich habe schon erwachsene türkische Männer erlebt, die ihre Panik vor dem deutschen “Schnitzel” nur in den Griff bekamen, indem sie einen Zusatzvokal einfügten und das Schnitzel in ein “Schinitzel” verwandelten. Jetzt weiß ich auch, warum die Tschechen im Habsburgerreich an der Seite der Österreicher gegen die Osmanen kämpfen mussten. Völlig unbewaffnet zogen sie gegen das türkische Heer los und riefen: “Smrž pln skvrn zvlhl z mlh!” oder “Plch zdrhl skrz drn, prv zhltl hrst zrn!” – selbstverständlich mit Watte in den Ohren, um gegen die vielen “ü” in den Entsetzensschreien der fliehenden Türken immun zu sein.
Diese historische Episode ist offenbar in Vergessenheit geraten, sonst hätten die Tschechen bei der Fußball-EM 2008 niemals die 2:3-Niederlage gegen die Türken erleiden können. Und damals wurde lange Zeit vergessen, den Soldaten ihren Sold auszubezahlen, wodurch ein Ausdruck entstand, den ich vor ein paar Tagen in meinen tschechischen Wortschatz aufgenommen habe: “turecké velikonoce” – “türkische Ostern”, zu Deutsch: am St.-Nimmerleins-Tag. An diesem Termin werde ich meinen nächsten tschechisch-türkischen Kaffee trinken. Und bis dahin – nur noch Wiener Kaffee. Den tschechischen.