Tschechisch ist ein Kinderspiel
Noch in keiner Sprache habe ich mich so intensiv mit Sprichwörtern und Kinderliedern befasst wie im Tschechischen – aus verschiedenen Gründen. Hauptsächlich erspart man sich die mühselige Eigenkonstruktion von Sätzen und kann darüber hinaus eine gewisse Eloquenz vortäuschen. Wenn etwa im Lokal das bestellte Bier gebracht wird, kann man freundlich zum Kellner sagen “pivo děla hezká těla!” (Bier macht schöne Körper), wenn der Fisch aufgetragen wird, kann man sagen “malé ryby také ryby!” (Kleine Fische sind auch Fische), und schließlich, wenn der Kuchen serviert wird, “bez práce nejsou koláče!” (Ohne Arbeit gibt‘s keinen Kuchen). Der Kellner wird einen zwar für gaga halten, aber man hat die Freude, dass die des Tschechischen unkundigen Reisepartner darüber staunen, wie locker einem das rechte Wort zur rechten Zeit über die Lippen kommt.
Außerdem soll man nicht stur an den Lehrbüchern kleben. Die haben nämlich leider den Nachteil, dass sie den Tschechen unbekannt sind, so dass man selten die erwartete Antwort bekommt. Als ich einmal in Pilsen Geld wechseln wollte, sagte ich: “Chci prosím vyměnit sto eur za koruny”, und darauf hätte die nette Dame am Bankschalter korrekt nach Langenscheidt antworten müssen: “Chcete jenom bankovky, nebo chcete také drobné?” (“Möchten Sie nur Banknoten oder auch Kleingeld?”) Stattdessen hörte ich “Tschechi tsche ischtsche, chi tsche tschechi chischtsche tsche chischtsche!” Damit wollte sie mich darauf aufmerksam machen – wie sie mir dann in exzellentem Englisch erklärte –, dass die Bank eine Gebühr erhebt, und zum Abschied sagte sie mir mit mitleidiger Miene, dass Tschechisch leider eine sehr schwere Sprache sei.
Deshalb sollte man sie genauso lernen, wie es die tschechischen Kinder tun. Zum einen wird man dadurch ganz von selbst mit den vielen “-ička” und “-ičko” und “-inka” vertraut, die man an die Wörter anhängen kann, zum anderen fällt die Konversation leichter, weil die Kinderverse – im Gegensatz zu den Tschechisch-Lehrbüchern – in Tschechien bekannt sind. Im Hotel beispielsweise könnte man problemlos folgenden Dialog führen:
“Co bude k snídani?” / “Was gibt‘s zum Frühstück?”
“Hrneček od sazí.” / “‘Nen Becher voll Ruß.”
“Co bude k obědu?” / “Was gibt‘s zu Mittag?”
“Talířek od medu.” / “Federn mit Mus.”
“Co bude k večeři?” / “Was gibt es zur Nacht?”
“Ošatka od peří.” / “Brei um halb acht.”
Damit ist zwar nicht unbedingt viel gewonnen, was den Informationsaustausch betrifft, aber man ist zumindest schon einmal locker und ohne böse Überraschungen ins Gespräch gekommen. Hingegen kann ein anderes Kinderlied, leicht abgewandelt, im Fall einer Autopanne sehr hilfreich sein – ich werde, wenn es soweit ist, auf einem Bein in eine Werkstatt hüpfen und händeklatschend singen:
“Vůz nám spadl, vůz nám spadl, / “Unser Wagen ist zerbrochen,
kdopak nám jej postaví?” / wer macht ihn bloß wieder heil?“
Und ein Mann im blauen Overall wird zurücksingen:
“Starý mistr není doma”/ “Der alte Meister ist nicht da
a mladý to neumí!” / und sein Sohn weiß nicht Bescheid!“
Dann wird er hoffentlich den Großvater rufen, der mit vier Hammerschlägen alles wieder in Ordnung bringt, und meine Reisegefährten, die diese Szene verfolgen, werden sich über nichts wundern. Schließlich weiß in Deutschland jeder, dass die Tschechen ein verspieltes Volk sind.