Tschechische Grippe
Letztes Mal schrieb ich noch vom therapeutischen Wert des Tschechischen. Aber jetzt hat mich eine Grippe erwischt, und ich bin sicher, es handelt sich um eine tschechische. Sie kam nämlich vorgestern, als ich die Arztlektion im Lehrbuch übte. Eine der Protagonistinnen schilderte ihre Beschwerden, und ich sprach tapfer die Sätze von der CD nach: “Mám horečku – mám kašel – bolí mě hlava – bolí mě krk!”
Jetzt liege ich im Bett, schlürfe horké mléko s medem, heiße Milch mit Honig, und denke darüber nach, was genau die Grippe ausgelöst haben mag. Am meisten im Verdacht habe ich das Wort “krk”, der Hals, bei dem es sich möglicherweise um eine verhärtete Zusammenziehung der deutschen “Gurgel” handelt, was keinesfalls nach einem Körperteil klingt, der gesund ist. Ob ich zum Arzt gehen soll? Aber was wird geschehen, wenn ich sage: “Mich schmerzt der krk, weil ich zu oft versucht habe, “krk” auszusprechen”? Wird der Arzt mich hinauswerfen oder weise lächelnd sagen: “Krk tut dem krk nicht gut” und mir Medizin verschreiben? Vor allem brauche ich sirup proti kašli, Saft gegen Husten, und tablety proti bolesti hlavy, Tabletten gegen Schmerzen des Kopfes. Eventuell kann man auch sagen tablety proti hlavové bolesti, Tabletten gegen des Kopfes Schmerzen, aber eines kann man garantiert nicht sagen, obwohl man es als Deutscher unglaublich gern sagen würde: Hlavabolesttablety. Zusammengesetzte Substantive geben uns Deutschen Sicherheitsgefühl, und jede Sprache, die solche Wortgebilde nicht kennt, kommt uns irgendwie umständlich vor.
Als grippekranker Deutscher starrt man eine Vier-Wort-Kombination wie tablety proti bolesti hlavy halb ungläubig, halb beschwörend an, als könnte man sie mit fieberheißem Blick schmelzen und zu einem einzigen Wort zusammenschweißen – genau so stelle ich mir den Blick eines Tschechen vor, der zum ersten Mal im Leben mit der Aufblähung seines “Č” auf die vier Buchstaben “Tsch” konfrontiert wird und hier auch noch lesen muss, dass seine Sprache den Deutschen umständlich vorkommt. “Umständlich!” wird er schnauben und mir meine eigenen Texte in Deutsch und in Tschechisch vor die Nase halten: “Na? Welcher Text ist kürzer? Der deutsche oder der tschechische? Wer von uns ist also umständlich? Wer?”
Mit heißem Kopf wälze ich mich im Bett hin und her. Mittendurch fährt eine deutsche Dampflok und macht “Tsch – tsch – tsch – tsch!” Ich fahre mit. Wir nähern uns der Grenze – wir fahren über die Grenze nach Tschechien – und die Dampflok klingt “Č – č – č – č!” Nein! Das kann nicht sein! Oder doch? Ich muss unbedingt noch einmal Fieber messen.