Crashkurs in Plöß
Das mit Tschechisch war mehr oder weniger ein Versehen. Wir hatten uns im Sommer 2010 ins Schönseer Land zurückgezogen, meine Partnerin und ich, um gemeinsam einen Kriminalroman zu schreiben, der ausschließlich in Nürnberg spielen sollte. Aber dann schlichen sich unversehens Tschechien und die Oberpfalz als Nebenschauplätze ein, was unter anderem zur Folge hatte, dass wir – nach intensivem Blättern in einem tschechischen Telefonbuch – die Polizeibeamtin Ivana Simaková vom Pilsener Inspektorat für Waffen, Munition, Sprengstoff und Drogen erfanden.
Diese Erweiterung unseres Romans mündete wiederum in diverse praktische und theoretische landeskundliche Studien, in deren Verlauf ich in der Nürnberger Stadtbibliothek nicht nur die Gebrauchsanweisung für Tschechien von Jiři Gruša in Händen hielt, sondern plötzlich auch Langenscheidts Expresskurs Tschechisch. “Expresskurs” klang verheißungsvoll – als würden wir in ein paar Wochen in einem tschechischen Gasthaus sitzen, und ich würde uns nicht nur in fließendem Tschechisch einen Eiskaffee bestellen, sondern ganz lässig mit dem Kellner über seine Familie oder über die Fußballweltmeisterschaft plaudern, und meine Freundin würde staunen. Oder erblassen vor Neid.
Einige Wochen später saßen wir an einem heißen Augusttag tatsächlich auf der Terrasse eines tschechischen Gasthauses. In Plöß, gleich hinter der Grenze, damit der Fluchtweg zur Muttersprache nicht so lang ist, denn ich hatte in der Zwischenzeit die Erfahrung machen müssen, dass der sogenannte Expresskurs keinesfalls im Expresstempo durchgearbeitet werden kann. Was mich betrifft, so hatte ich meinen bisherigen Weg durch das Lehrwerk nicht einmal im Bummelzugtempo zurückgelegt, sondern eher wie eine Rangierlok und befand mich zu dem Zeitpunkt in Lektion 6 oder 7 von insgesamt zwanzig. Immerhin, bestellen konnte ich schon – “Dáme si jedno pivo a jednou kolu, prosím!” –, aber ich hoffte inständig, dass keine Gegenfragen zurückkämen – “Dunkles oder helles Bier? Und das Cola mit Eis oder ohne?” Es kamen keine, Gottseidank. Aber auch die Getränke kamen nicht, und ich begann zu überlegen, ob ich eventuell aus Versehen gesagt haben könnte: “Wir hätten gern kein Bier und kein Cola!”
Neue Gäste kamen, bestellten, erhielten Getränke und Speisen, andere Gäste zahlten und gingen – wir schmachteten. Natürlich hätte ich notfalls auf Deutsch reklamieren können, denn die Kellnerin sprach, wie ich bemerkte, so gut Deutsch, wie ich gerne Tschechisch sprechen würde, aber mein Ehrgeiz verbot es mir. Und natürlich hätte ich auf Tschechisch gern in höflichem Konjunktiv reklamiert – “Könnte es sein, dass Sie unsere Getränke vergessen haben?” –, aber so weit war ich noch nicht. Also sagte ich: “Promiňte, prosím! Máme velký žízeň! Přineste nám pivo a kolu!” Die Kellnerin entschuldigte sich, sagte noch einiges auf Tschechisch, was ich nicht verstand, und brachte die Getränke. Vielleicht hatte sie gesagt: “Das war gar nicht schlecht – aber erstens heißt es velkou žízeň, weil žízeň Femininum ist, und zweitens müssen Sie unbedingt noch den Konjunktiv lernen!” – ich weiß es nicht. Die Freundin jedenfalls behauptete, mein Tschechisch habe “so richtig echt” geklungen, und jetzt gab es kein Zurück mehr. Ich werde diese Sprache niemals sprechen können, dachte ich, aber vielleicht ab und zu ein Mädel beeindrucken, das mein Radebrechen für fließendes Tschechisch hält.
Elmar Tannert