Enkel eines großen Schriftstellers: Bürde und Inspiration zugleich
Ein fiktives Kaminfeuer prasselt im Hintergrund auf dem Bildschirm. Wintertage sind Lesetage. So auch am 01. Dezember 2022 im Centrum Bavaria Bohemia (CeBB), als Jindřich Mann, Enkel des großen deutschen Schriftstellers Heinrich Mann, gastiert.
Mutter Leonie, Tochter von Heinrich Mann und Nichte von Thomas Mann, brachte Jindřich 1948 zur Welt. Vater war der Poet und Widerstandkämpfer Ludvík Askenazy. Mit 20 Jahren, als 1968 die Panzer des Warschauer Pakts in Prag anrollten, emigrierte die Familie nach Deutschland. Für Jindřich hieß das Fuß fassen, Studium an der Filmhochschule, dann Filme für ARD und ZDF drehen. Prag ließ sich als Heimatstadt nicht auslöschen, deshalb nach der Samtenen Revolution 1989 Rückkehr nach Prag. Journalismus ist der Berufsweg, doch die Schriftsteller-Gene seiner Familie kommen zu Tage in seinen zwei Werken „poste restante (postlagernd)“ und „Eisbär“, die im Mittelpunkt der Lesung im CeBB stehen.
Moderator David Stecher war mit dem Centrum Bavaria Bohemia (CeBB) vor allem in der Gründungszeit vor und nach 2006 als damaliger Leiter des Tschechischen Zentrums in München (2004 – 2008) sehr eng und äußerst hilfreich verbunden. Seit 2012 baut er als Direktor des Prager Literaturhauses mit großem Gespür Brücken zwischen Literatur und Gesellschaft in Tschechien – natürlich liegen ihm die grenzüberschreitenden Literaturverbindungen Richtung Deutschland sehr am Herzen. Ergebnis sind immer wieder Lesungen deutsch-tschechischer Autoren, deren Werke Einblicke in schwierige Phasen der eng verbundenen Geschichte geben. Einer, der diese Literatururbrücke ständig bereichert ist Jindřich Mann, der im Rahmen des Projekts Kultur ohne Grenzen mit finanzieller Unterstützung des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds und des Landkreises Schwandorf Anfang Dezember im CeBB aus seinen beiden Büchern las.
CeBB Leiterin Dr. Veronika Hofinger und Besucher, die Jindřich Mann erlebten, sind sich einig, einem „ungemein sympathischen“ Literaten begegnet zu sein. Andere heben ab, wenn sie einen berühmten Namen tragen, ganz anders Jindřich Mann. Was ihn so menschlich macht: Zwischen den Absätzen und Kapiteln plaudert er offen, aber auch hintergründig. In „poste restante (postlagernd)“ erzählt er von seiner Familie, seiner Kindheit, der Schulzeit und die begleitenden Ereignisse. Prägend sind die Erinnerungen an Prager Lebenswelten aus Kindheitstagen in den 50er Jahren. Viele Nachmittage Glasmurmel spielend verbringen. Etwas älter dann schon fein beobachten, wie sich alter Sitte gemäß Leute sogar im Park mit Titeln und Berufsbezeichnungen ansprechen oder wie das kommunistische Regime mit der Umbenennung von Straßen in Prag – aus der Franz-Josef wird über Nacht die Stalin-Straße – seine Verbrüderung mit Moskau ausdrückt. Schicksalsverarbeitung oder sich die Seele vom Leib schreiben könnten Zwischenüberschriften sein, wenn er ins Jahr 1939 springt und vom Leben seiner jüdischen Großmutter Marie Mann erzählt oder dann mehr als dreißig Jahre später seine Erfahrungen als Migrant schildert. Der Rückkehr in sein geliebtes Prag – „ich hätte nie gedacht, dass ich Prag wiedersehe“ – gingen Heimwehdepressionen voraus, verarbeitet in einem Brief, den er sich selber an seine Prager Adresse schrieb, ohne ihn jemals abzusenden. Im zweiten Teil leitet Moderator David Stecher über zum 2017 erschienenen „Eisbär“. Er zählt es zu den besten Büchern der letzten Jahre. Zum Schluss noch ein Blick in „Der silberne Zauberer“. Das Buch mit zwei ergänzenden Monologen, die eine Busfahrt in Begleitung des Geheimdiensts beschreiben, wird Anfang 2023 erscheinen.