Die Alltagsgeschichte des Grünen Bandes liegt im Untergrund verborgen
Die bayerisch-tschechischen Grenzgebirge formten seit Urzeiten eine natürliche Barriere aus Bergen und undurchdringlichen Wäldern und trennten die tiefer gelegenen Siedlungsgebiete westlich und östlich der Gebirge. Während die Niederungen seit langem archäologisch untersucht werden, befanden sich die Grenzgebirge bis vor kurzem nicht nur am Rand der Staaten, sondern der Wahrnehmung der Archäologen.
In den letzten Jahren ändert sich dies jedoch – und auch Laien finden Orte wie den Geschichtspark und das ArchaeoCentrum Bärnau, in denen das unter der Oberfläche ruhende kulturelle Erbe der Region zugänglich und erlebbar gemacht wird. Aber gerade in Bärnau wird Archäologie nicht nur der Öffentlichkeit vermittelt, sondern auch in Zusammenarbeit mit Hochschulen wie den Universitäten Bamberg, Prag und Pilsen Forschung betrieben.
Einer der Archäologen, die die Region des Grünen Bandes als Forschungsfeld entdeckt haben, ist Mgr. et Mgr. Michal Preusz, PhD von der Westböhmischen Universität Pilsen. „Gerade die Grenzgebiete haben eine wichtige Rolle in der Entwicklung der Menschheit gespielt und dürfen nicht übersehen werden,“ begründet er das Interesse der Archäologen. Die Geschichte einer Grenzregion ist auch immer die Geschichte von Grenzüberschreitungen. Die Berge wurden im Mittelalter zu strategischen Toren zwischen den erstarkenden Staatsgebilden in Bayern und Böhmen. „Ich konzentriere mich vor allem auf die materiellen Spuren des alltäglichen Lebens und der grenzüberschreitenden Kontakte, nicht nur der Grenzkonflikte, sondern auch des Lebens in Friedenszeiten, als Bergbau, Handwerk und Handel blühten,“ fährt Michal Preusz fort. Nur ein kleines Stück unter der Oberfläche finden sich die Überreste der Schlachten aus der Zeit der Staatsbildung, der Kreuzzüge gegen die Hussiten oder des dreißigjährigen Krieges. Faszinierend findet der Archäologe auch die Überbleibsel der Glasherstellung oder des Rohstoffabbaus. Häufig gering geschätzt und wenig geschützt, aber dennoch ein wichtiges Dokument der Menschheitsgeschichte sind die modernen Denkmäler der Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus der Grenzregion und des Eisernen Vorhangs.
Im ArchaeoCentrum und dem Geschichtspark Bärnau-Tachov des Vereins Via Carolina-Goldene Straße e.V. in Bärnau beschäftigen sich Archäologiestudenten aus Deutschland und der Tschechischen Republik vor allem mit sog. „experimenteller Archäologie“. „Durch praktische Arbeiten im Geschichtspark, wie z.B. dem Bau eines einfachen mittelalterlichen Gebäudes mit den technischen Hilfsmitteln der damaligen Zeit, gewinnen Studierende wichtige Erkenntnisse für die weitere Forschung,“ erläutert Geschäftsführer Mgr. Václav Vrbík und ergänzt: „Im ArchaeoCentrum führen wir den theoretischen Teil durch, z.B. in unserem gut ausgestatteten Labor“.
Je weiter man in der Zeit zurückgeht, je weiter man sich auch in jüngerer Zeit aus den Zentren entfernt, je mehr der Alltag anstatt der großen Politik im Mittelpunkt des Interesses steht, desto spärlicher sind schriftliche Quellen, die über die Vergangenheit Auskunft geben. Die Arbeit des Archäologen ist fast schon detektivisch. Seine Erkenntnisse zieht er aus archäologischen Funden, die meistens durch Grabungen freigelegt werden. Oft müssen viele Funde und indirekte Hinweise interpretiert und kombiniert werden, bis ein aussagekräftiges Bild der Vergangenheit entsteht. Schon längst werden Schaufel und Pinsel durch Methoden der Geophysik, der Geochemie oder der Fernerkundung ergänzt.
Die bayerisch-tschechische Grenze zählt zu den ältesten und stabilsten in Europa. Die ältesten Spuren jedoch zeugen nicht von der Grenze, sondern vom Austausch, vom Handel: Silexabschläge, also Stücke von Feuersteinen, die bei Arnhof bei Nürnberg abgebaut wurden und bis in die Gegend des heutigen Prag gebracht wurden. Schon vor 10 bis 12 Tausend Jahren wanderten also Menschen durch den Oberpfälzer Wald und Böhmischen Wald. „Dennoch stellten die Gebirge in vorgeschichtlicher Zeit eine Barriere darstellten, die nur unter großer Anstrengung überschritten und unter noch größerer Anstrengung besiedelt werden konnte,“ schränkt Michal Preusz ein.
Auch im frühen Mittelalter waren die heutigen Grenzgebirge noch keine Grenze: Slawische Siedlungen sind bis zur Naab und Donau nicht nur durch archäologische Funde, sondern auch durch die Ortsnamensforschung belegt. Erst in der langen und komplizierten Phase der Entstehung der mittelalterlichen Staaten entstand ein Grenzbereich da, wo heute die Grenze verläuft. Auch dies war kein geradliniger, rascher Prozess, sagt Michal Preusz: „Vereinfacht gesagt verengte sich das breite, grüne Band des mittelalterlichen Grenzwaldes immer mehr bis hin zu einer Grenzlinie, wie wir sie heute kennen. Der Raum beiderseits der Grenze wurde von Osten wie Westen her aufgesiedelt.“ War der Grenzwald im Mittelalter noch ein weitgehend ungestörter Urwald, den nur einige Handelswege durchzogen, setzte in der frühen Neuzeit die Kolonisierung und eine vielfältige Nutzung der Ressourcen Holz, Wasser, Boden und Stein ein. Der Urwald verschwand und wurde Schritt für Schritt durch die Monokulturen in den heutigen Forsten ersetzt.
Zu einem Bruch in der Entwicklung kam es 1945 mit der Zerstörung der Siedlungen im tschechischen Grenzgebiet nach 1945. Die untergegangenen Siedlungen, sogenannte Wüstungen, der jüngeren Vergangenheit haben deutliche Spuren hinterlassen, die gerade in gebirgiger Landschaft leicht zu erkennen sind. „Der aufmerksame Beobachter erkennt unter dem Bewuchs leicht die Mauerreste und den Schutt früherer Gebäude. Auch alte Hohlwege, die Dämme aufgelassener Teiche oder alte Obstbäume deuten auf frühere Siedlungen hin. Es gibt aber auch gefährliche Stellen, verborgene Keller oder offene Brunnenschächte,“ erläutert Michal Preusz. Dabei sind die nach 1945 untergegangenen Siedlungen bei weitem nicht die einzigen Ortswüstungen in der Grenzregion. „Gerade auf bayerischer Seite gibt es eine Reihe von Wüstungen aus der Zeit der Hussitenkriege. Ihre Spuren sind für den Laien aber nicht mehr zu erkennen“, so der Archäologe der Westböhmischen Universität.
Welche Rolle spielen die gut sichtbaren und z.B. entlang des „Iron Curtain Trails“ mit dem Rad erkundbaren Reste des Eisernen Vorhangs aus Sicht des Archäologen? „In der Geschichte der Menschheit war der Eiserne Vorhang eindeutig die größte menschengemachte physische Barriere, größer als der Limes Romanus oder die Chinesische Mauer,“ sagt Michal Preusz. Der Eiserne Vorhang war nicht zur Verteidigung des Ostens gegen den Westen angelegt, sondern zur Verhinderung der Flucht von Ost nach West. „Er war Teil eines repressiven Systems gegen das eigene Volk und Symbol der geopolitischen Konflikte der Großmächte. Deswegen sind die Relikte des Eisernen Vorhangs ein bedeutendes Denkmal und die Dokumentation der Geschichte des Eisernen Vorhangs, etwa in einer Gedenkstätte, wäre ein wichtiger Bildungsauftrag“, beschreibt Michal Preusz die kulturhistorische Bedeutung der Landschaft an der Grenze.
Die Westböhmische Universität führte bisher Forschungen in der ehemaligen Grenzwachkaserne Vašíček und in einer Reihe der nach 1945 verschwundenen Siedlungen durch. Untersucht wurden aber auch grenzüberschreitende historische Wege, frühneuzeitliche Festungsanlagen und Schlachtfelder oder grenznahe Städte. „Der Eiserne Vorhang wird als Forschungsfeld an Bedeutung gewinnen“, gibt Michal Preusz einen Ausblick auf künftige Pläne.
Die Erforschung der mittelalterlichen Besiedelung in Zusammenarbeit mit dem Geschichtspark Bärnau soll systematisch vertieft werden. „Es ist notwendig, die Geschichte zu kennen, um die Gegenwart zu verstehen“, erklärt Václav Vrbík. Nur so kann das Ziel des Geschichtsparks erreicht werden: Den gemeinsamen Kultur- und Naturraum zu bewahren und zu vermitteln.
Ausflugstipps:
- Einen Eindruck von den mittelalterlichen Befestigungs- und Wachanlagen an der Grenze erhält der Besucher im Dreieck der Burgen Rýzmberk, Nový Herštejn und der malerischen Hauptstadt der chodischen Grenzgänger Domažlice.
- Im Geschichtspark Bärnau-Tachov können Besucher neben mittelalterlichen Dorfanlagen und einer Wachburg den experimentellen Bau einer Reisestation Karls IV. beobachten und beim Themenwochenende Karl IV. in die Zeit des Königs eintauchen. Im ArchaeoCentrum werden regelmäßig Ausstellungen gezeigt, aktuell die Ausstellung „Meine Oberpfalz“ bis 29. September. Im Areal des Geschichtsparks befindet sich auch ein Lehrpfad zum Thema „Grünes Band“. geschichtspark.de
Internetseite für Interessierte:
- Aus der Kooperation der Westböhmischen Universität und des ArchaeoCentrums Bärnau entstand der Archäologische Atlas der tschechisch-bayerischen Grenze im Mittelalter und in der Neuzeit: https://archaeoatlas.zcu.cz/indexde.php
Projekte:
- Die Westböhmische Universität führt ihre Forschungen in Kooperation mit der Universität Bamberg im Rahmen des Projekts „INTER-ACTION LTAB19001 Grenzüberschreitende sozioökonomische Räume. Archäologische Studien von Städten an der bayerisch-tschechischen Grenze“ durch.
- Die Reihe „Grünes Band“ erscheint im Rahmen des vom Bayerischen Heimatministerium geförderten Projekts „Informations-, Beratungs- und Vernetzungszentrum Grünes Band“ am Centrum Bavaria Bohemia, Schönsee.






