Das Museum Kóta in Rozvadov: Eine Reise in die Vergangenheit des Eisernen Vorhangs
Aus der Landschaft der bayerisch-böhmischen Grenzgebirge ist der Eiserne Vorhang fast verschwunden – nicht aber aus der Erinnerung derer, die sich an der Grenze als Polizisten, Soldaten oder Zöllner gegenüberstanden.
Ein Ort, der der Erinnerung gewidmet ist, ist die ehemalige Kaserne der tschechoslowakischen Grenzwache in Kota (Hüttenstauden) bei Rozvadov (Roßhaupt). Gegenwart und Vergangenheit der Grenzorte liegen hier nah beieinander: Gegenüber dem Parkplatz des King’s Casinos, auf dem sich Luxuskarossen mit Münchener und Prager Kennzeichen drängen, zweigt eine kleine Straße ab, aus dem Dorf hinaus in ein Wäldchen. Bis 1990 war hier, abseits des Ortes in einem rechteckigen, umzäunten Areal, die tschechoslowakische Grenzwache „Pohraniční stráž“ (abgekürzt PS) stationiert. Die Grenzzäune verliefen ein Stück weiter westlich.
Die Mannschaftsgebäude der ehemaligen Grenzwachkaserne fanden unterschiedliche Nachnutzungen. Im ersten an der Einfahrt bringt eine Autowerkstätte die Karosserien nicht mehr ganz frischer Modelle mit deutschen und tschechischen Kennzeichen auf Vordermann, andere werden von Mitarbeitern des Casinos bewohnt, weiter hinten neben den ehemaligen Hundezwingern ein liebevoll gepflegter Garten. Mitten im Gelände liegt das „Muzeum pohraniční stráže Kóta Rozvadov“, davor parkt ein Geländewagen der tschechoslowakischen Armee und eine tschechische Fahne flappt in der Nachmittagsbrise. Das friedliche Bild wird vervollkommnet durch zwei freundliche Herren in Zivil, die vor dem Eingang auf uns warten: Ing. Květoslav Hladík, ehemaliger Offizier der tschechoslowakischen Armee, und Michael Kraus, ehemaliger bayerischer Zöllner. Die beiden sind die „guten Seelen“ des Museums, das von dem Verein Klub Vojenské Historie Rozvadov (Militärgeschichtsklub Rozvadov) betrieben wird.
Obwohl das Kasernengebäude während des Autobahnbaus als Arbeiterunterkunft diente, gelang es, die Einrichtung fast ausschließlich aus Originalmöbeln der Grenzwache zusammen zu stellen – eine beachtliche Leistung angesichts der Tatsache, dass der Eiserne Vorhang und die Tätigkeit der Grenzwache ein Teil der Geschichte ist, der bislang wenig Aufmerksamkeit erfährt. Detailreich gebaute Geländemodelle zeigen im Museum die Entwicklung der Grenzzäune vom dreifachen Drahtverhau zu Beginn der 1950er Jahre über den tödlichen Hochspannungszaun bis hin zur Signalwand, deren Drähte bei Berührung ein genau verortbares Signal in die Kaserne übermittelte. Gesammelt werden Uniformen, technisches Gerät, Waffen und alltägliche Ausstattungsgegenstände, die heute Seltenheitswert haben.
Michael Kraus stieß zum Museum, als er seine Zolluniform gegen eine Uniform der Grenzwache eintauschen wollte. Als er mit seiner Uniform vor dem Museum stand hatte sich sein Ansprechpartner zwar bereits aus dem Verein verabschiedet und die Anwesenden empfingen ihn mit erstaunten Gesichtern. Das Eis war aber schnell gebrochen, seine Zolluniform gehört mittlerweile zu den Exponaten und Michael Kraus fungiert als Ansprechpartner für deutsche Besucher.
„Wir möchten ein möglichst realistisches Bild des Lebens eines gewöhnlichen Soldaten der Grenzwache vermitteln“, beschreibt Květoslav Hladík das Ziel des Museums. Der gewöhnliche Soldat, der in der Grenzwachkaserne Dienst tat, war ein Wehrpflichtiger, der knappe eineinhalb Jahre in der Kaserne verbrachte und nur wenige Tage im Jahr den oft weit entfernten Heimatort, Familie und Freunde besuchen durfte. Der Kommandant, sein Stellvertreter, der Batallionsführer und der Politoffizier waren Berufssoldaten. Die spartanische Ausstattung des Schlafraums mit 5 Stockbetten und der Schlafraum der dreiköpfigen diensthabenden Patrouille, die in voller Uniform ruhen musste, zeugen von einer entbehrungsreichen Zeit. Sobald eine Berührung des Grenzzauns, der sich mehrere Hundert Meter und weiter östlich der eigentlichen Grenzlinie befand, signalisiert wurde, brach die Patrouille mit Hundeführer zum entsprechenden Grenzabschnitt auf.
Mit mir ist Reinhold Balk gekommen, der als ehemaliger Sachbearbeiter Sicherheit beim Bundesgrenzschutz für die Grenze zuständig war und eine Mittlerposition zwischen Polizei, Zoll und US Army hatte. Er und seine ehemaligen Kollegen forschen intensiv zur Geschichte der Grenze, dokumentieren, sammeln, fügen Informationen aus deutschen und tschechischen Archiven zusammen. Das Museum Kóta kennt er seit der Eröffnung im Juli 2014 und ist von seiner Realitätsnähe und Detailgenauigkeit beeindruckt. Zur Eröffnung brachte er ein gerahmtes Foto mit, eine Luftaufnahme der Grenzwachkaserne, die 1988 aus einem Hubschrauber des BGS gemacht wurde. Reinhold Balk bestätigt, dass unter den etwa 900 Todesfällen, die die Grenztruppen in der Zeit des Eisernen Vorhangs zu verzeichnen hatten, nur etwa ein Dutzend auf sog. Feindkontakt zurückzuführen waren. Die Mehrheit der Todesfälle dagegen waren Unfälle, häufig auch Suizide. Auch Morde waren dabei. Der tragische Fall des Wehrdienstleistenden Ulrych, der bei Železná / Eisendorf von seinem Kameraden, der über die Grenze fliehen wollte, erschossen und vom Wachturm in die Tiefe gestürzt wurde, ist im Gang des Museums dokumentiert.
„Viele unserer Besucher haben selbst bei der Grenzwache Dienst getan und möchten ihrer Familie vermitteln, unter welchen Bedingungen sie damals gelebt haben“, erklärt Hladík. Er selbst, der bei der Armee gedient hat, ist über sein Interesse an der Militärgeschichte, an Technik und Waffen, zum Museumsverein gekommen. Ihn interessiert die Geschichte, betont er, mit Politik wolle er nichts zu tun haben.
Neben dem Armeefahrzeug vor dem Museum werfen sich zwei Jungen in der Uniform der Grenzwache und Maschinengewehr aus tschechoslowakischer Produktion für das Foto in Pose. Filip und Jirka sind in einer Zeit offener Grenzen aufgewachsen sind, verbringen aber einen großen Teil ihrer Freizeit in einem Museum, das sich dem Eisernen Vorhang widmet. „Schon von klein auf haben mich Waffen und Uniformen interessiert“, sagt Filip, „und Jirka habe ich irgendwann gefragt, ob er nicht auch hierher mitkommen möchte – deswegen ist er da.“ Jirka lächelt und nestelt am seinem Uniformabzeichen mit dem Hundekopf, der an die Tradition der chodischen Freibauern anknüpft, die im Mittelalter und in der frühen Neuzeit mit Hunden die Landesgrenzen bewachten.
Gefragt, ob eine zentrale Gedenkstätte für den Eisernen Vorhang sinnvoll wäre, zuckt Květoslav Hladík die Schultern. „Jeder Staat sollte sich für seine eigene Geschichte interessieren. Aber leider ist das Interesse derzeit nicht groß. Wir haben aber auch nie um Unterstützung gebeten.“ Die Gemeinde Rozvadov, der die Gebäude der ehemaligen Grenzwachkaserne gehören, hält das Gebäude instand, erneuert die Fenster und die Fassade. „Die Stromrechnung zahlen wir aber selbst, und die wird steigen“, sagt Hladík mit Blick auf die Zukunft.
Reinhold Balk beobachtet mit Sorge das Verschwinden der Spuren des Eisernen Vorhangs. Ob es um den Rückbau der Anlagen auf dem Čerchov geht oder die Bebauung der früheren Camps der US-Army in der Oberpfalz mit Solarparks und Gewerbebauten – kaum ein Überbleibsel des Eisernen Vorhangs ist denkmalgeschützt. Und doch könnten die Spuren in der Landschaft helfen, den Jüngeren zu vermitteln, wie eingeschränkt das Leben an einer geschlossenen Grenze war. „Offene Grenzen sind eine Errungenschaft, für die wir immer wieder eintreten müssen“, formuliert Balk die Kernbotschaft seiner Vorträge, die er gerne auch an Schulen hält. „Wir vergessen oft, wie gut es uns in der Gegenwart geht“.

