Hora Sv. Václava: Eine kleine Gemeinde interpretiert ihre Landschaft neu
Der Neue Tag stellt in Zusammenarbeit mit dem Centrum Bavaria Bohemia in regelmäßigen Abständen Schwerpunktthemen aus den Bereichen Naturschutz, Geschichte und Kultur und Freizeit vor und zeigt die Einzigartigkeit des Natur- und Kulturerbes des Grünen Bandes.
Fährt man aus der Gemeinde Stadlern, der östlichsten im Landkreis Schwandorf, mit dem Rad über den Grenzübergang Schwarzach nach Osten durchquert man die malerische, kaum besiedelte Wald- und Wiesenlandschaft des Böhmischen Waldes. Nach einer langen Steigung öffnet sich oberhalb des Denkmals für das untergegangene Dorf Korytany / Rindl ein weiter Blick nach Osten ins Böhmische Becken. Hier liegt die Gemeinde Hora Svatého Václava / Berg, die mit 63 gemeldeten Bewohnern zu den kleinsten Gemeinden Tschechiens gehört – und als Pionier eines nachhaltigen Umgangs mit der Landschaft gilt. Zugleich ist Hora Svatého Václava – wörtlich übersetzt: „Berg des Heiligen Wenzel“ und von den Einheimischen kurz und dem deutschen Namen „Berg“ entsprechend „Hora“ genannt – ein lohnender Ausgangspunkt zur Erkundung des Grünen Bandes. Unterkunft und Verpflegung finden Besucher in Hora und dem benachbarten Ortsteil Šidlákov / Schilligkau.
Die Kirche St. Wenzel thront als Dominante des Ortes auf einer dem Böhmischen Wald vorgeschobenen Anhöhe zwischen uralten Linden. Mit der Initiative zur Rettung der vom Verfall bedrohten Kirche begannen schon kurz nach der Samtenen Revolution die Bemühungen der Gemeinde um die Erhaltung ihres kulturellen Erbes. Die Kirche gehört zu den ältesten in der Region, war schon 1345 Pfarrkirche und steht auf den Resten eines älteren Burgwalls. Umgeben ist die Kirche von alten Grabsteinen mit deutschen Namen, manche mit Fotos, die ernste Gesichter zeigen. Das Leben scheint hart gewesen zu sein, viele der früheren Einwohner starben in jungen Jahren. Nur wenige Gräber von Neusiedlern, die nach 1945 aus der Ostslowakei kamen, finden sich auf dem Friedhof, denn mittlerweile finden die Beisetzungen in Ronsberg / Poběžovice statt. Keiner der heutigen Bewohner hat Vorfahren aus dem Ort, und doch widmen sie der Pflege und Wiederherstellung der Landschaftselemente aus der Zeit vor dem 2. Weltkrieg Aufmerksamkeit, Zeit und Geld.
Bürgermeister David Kraml empfängt uns. Vor kurzem erst wurde er vom Pilsener Bischof Tomáš Holub für seine Bemühungen um den Erhalt der Kirche geehrt. Gefragt, warum die Gemeinde über Jahrzehnte hinweg systematisch an der anspruchsvollen Instandsetzung der Kirche und vielen weiteren Projekten arbeitet, lächelt er: „Das Gebäude gehört zwar der Kirche, aber wir wollten nicht länger mit ansehen, wie es langsam zerfällt. Es ist einfach ein wichtiges Denkmal für die ganze Region.“ Eine kleine Gemeinde muss kleine Schritte machen und so begann man mit der Erneuerung des Daches, es folgten Maßnahmen zur Sicherung der Mauern, die Renovierung der Kanzel, des Altars und eines Seitenaltars, des Kreuzwegs, der Bänke, Freilegung des Bodens und Erneuerung der Friedhofsmauer. Ein Seitenaltar und Altarfiguren warten noch auf ihre Renovierung. Bürger und lokale Unternehmer spendeten, Freiwillige legten den alten Ziegelboden frei. Kirche und Denkmalschutz unterstützten. Gläubige gibt es in der Gemeinde nur wenige, aber mittlerweile kommen Gläubige auch aus anderen Orten zu den Gottesdiensten, berichtet David Kraml. Bei Konzerten in der Kirche reicht der Platz inzwischen nicht mehr aus.
Bis 1990 lag Hora am Rand des Eisernen Vorhangs, am oberen Rand des Dorfes befand sich das erste Schild mit der Warnung „Vorsicht, Grenzzone!“. Im heutigen Gasthaus Pohoda, vor 1945 eine Schule, befand sich der Sitz der tschechoslowakischen Volksmiliz und diente der Rekrutenausbildung. Der Eiserne Vorhang beschränkte die Einwohner, bildete für viele aber auch die Lebensgrundlage. Neben der Grenzpolizei waren die landwirtschaftlichen Großbetriebe vor 1990 die wichtigsten Arbeitgeber.
Einer der großen Umbrüche des 20. Jahrhunderts war die Kollektivierung der Landwirtschaft. Die private Landwirtschaft wurde abgeschafft, bäuerliche Kultur zerstört. Landarbeiter waren im Auftrag von Staatsbetrieben und Genossenschaften tätig. Wo einst ein dichtes Netz an kleinen und kleinsten Feldern und Wiesen, Hecken und Feldgehölzen die Landschaft prägte, entstanden riesige Felder und Weiden. Die alten Wege, die die Dörfer untereinander verbanden und die kleinen Felder erschlossen, wurden überackert, umzäunt oder wucherten zu. „Die Bewohner der Dörfer wurden dadurch aus der sie umgebenden Landschaft ausgeschlossen, sie konnten oftmals nicht einmal mehr in den Wald gehen“, berichtet der Bürgermeister. Als im Zuge der Vorbereitungen für die Europäische Kulturhauptstadt Pilsen 2015 ein Landschaftskunstwerk – ein hölzerner „Thron“ des Pilsener Kunststudenten Jakub Orava – entstand, erneuerte die Gemeinde einen alten, fast schon vergessenen Verbindungsweg in Form eines Fußwegs mit Obstbaumallee. „Begeistert waren die Landwirte nicht“, schmunzelt David Kraml, „aber die alten Wege gehören immer noch der Gemeinde und mit der Zeit haben sie eingesehen, dass die Wege für Einwohner und Touristen wichtig sind.“ Die Bürger halfen beim Pflanzen und Gießen der Bäume. Alte Wegabschnitte wurden wieder freigelegt, die knorrigen alten Obstbäume an ihren Rändern aber erhalten. Ein örtlicher Künstler fertigte Kunstobjekte, die sich besonders in der Umgebung von Šidlákov finden.
Was mit einer Allee begann wurde zu einem Vorzeigeprojekt. Mittlerweile wurden über 500 Bäume gepflanzt und ein Netz an alten Wegverbindungen auch über die Gemeinde hinaus reaktiviert. „Die Bürger schlagen inzwischen selbst vor, welche Wege wieder hergestellt werden sollten und stellen an besonders schönen Stellen Bänke auf.“, so der Bürgermeister. Die Pflege der Alleen bringt für die Gemeinde natürlich auch Herausforderungen mit sich – die Wege müssen gemäht, die Bäume geschnitten werden. Im Gemeindeamt, einem winzigen Ein-Raum-Gebäude, das gleichzeitig Bürgermeisterbüro, Sitzungsraum und Lager ist, liegen mehrere Motorsensen griffbereit. Ohne die Hilfe von Freiwilligen und die Unterstützung des Bezirks Pilsen ginge es nicht. Kürzlich wurde ein Teich erneuert, auf dem Gäste bald auch Boot fahren können, der aber auch dem Wasserrückhalt in dient. Er ist Teil einer breit angelegten Initiative in der Region Pilsen, die landwirtschaftlich genutzten Flächen auf den Klimawandel vorzubereiten und vor Austrocknung zu bewahren.
Immer wieder tauchten alte Weg- und Feldkreuze mit Steinsockel und gußeisernem Kreuz auf. Auch sie wurden erneuert und möglichst wieder am ursprünglichen Standort aufgestellt. „Dank der alten Wege und Kreuze lernen wir, wie die Menschen hier früher gelebt haben, welche Orte ihnen wichtig waren, welche Wege sie gingen“, erklärt David Kraml. Gefragt, was ihn antreibe, sagt er lächelnd, er gestalte einfach gerne und habe Freude an der Zusammenarbeit mit anderen. Das gilt auch für das größte Projekt des Gemeindezusammenschlusses „Mikroregion Dobrohost“, dessen Vorsitzender David Kraml ist. In Zusammenarbeit mit der Region Domažlice gelang es, die Burgruine Starý Herštejn (siehe Tipp) teilweise zu rekonstruieren und einen grandiosen Aussichtspunkt zu schaffen.
Die Seele der Landschaft findet sich aber auch im Kleinen. Im Wäldchen unterhalb der Kirche in Hora Svatého Václava steht ein Gedenkstein mit einem Kreuz. Die Einwohner errichteten es für einen Obdachlosen aus Pilsen, der seine letzten Lebensjahre in einem Bauwagen am Rande der Gemeinde verbrachte. „An dieser Stelle lebte unser Kamerad, Freund und Mitbürger Václav ‚Einsiedler‘ Škampa“ ist auf der Steintafel zu lesen.
Was gibt es in der Umgebung zu entdecken?
- Burgruine Starý Herštejn / Althirschstein: Kurze Wanderung vom Wanderparkplatz am Sattel „Vránovské Sedlo“ aus oder von Hora Svatého Václava aus über Rad- und Wanderwege über Šidlákov, Liščí domky zu erreichen;
- Quelle des Flusses Radbuza: von Závist / Neid aus (Wanderparkplatz), an der Quelle Rastmöglichkeit in einem Pavillon;
- Kirchenruine St. Nikolaus mit Friedhof und Skulpturenweg in Šitboř / Schüttwa (von Poběžovice / Ronsberg mit dem Auto zu erreichen)