Auf Spurensuche im Böhmerwald
Das Centrum Bavaria Bohemia (CeBB) bietet grenzüberschreitenden Projekten bayerischer und tschechischer Hochschulen eine ideale Plattform. Im Februar und März dokumentiert eine Ausstellung die Spurensuche von Studierenden im Böhmerwald.
Eingeschrieben sind sie an den Unis in Regensburg, Passau, Prag und Ústí nad Labem (Aussig). Unter der Federführung von Dr. Wolfgang Schwarz, Kulturreferent des Adalbert-Stifter Vereins in München und begleitet von Dr. Mikuláš Zvánovec von der Karls-Universität Prag, machten sie sich im Herbst 2019 im Rahmen des Deutsch-Tschechischen Forschungsverbunds “Grenze(n) in nationalen und transnationalen Erinnerungskulturen zwischen Tschechien und Bayern“ bei einer dreitägigen Exkursion ein Bild von Orten ehemals deutscher Besiedlung im Böhmerwald mit ihren übrig gebliebenen oder restaurierten Fragmenten. Die dabei fotografisch dokumentierten Blickwinkel, dazu die in Texte gefassten Empfindungen, sind die Elemente der Ausstellung, die am letzten Dienstagabend im CeBB eröffnet wurde.
Landrat Thomas Ebeling, 1. Vorsitzender des Trägervereins Bavaria Bohemia e.V., begrüßte mit einer Videobotschaft, CeBB-Leiterin Veronika Hofinger führte in die Thematik ein und Mikuláš Zvanovec schilderte seine Eindrücke als Exkursionsbegleiter. In der anschließenden Podiumsdiskussion sollte auch Wolfgang Schwarz dabei sein, er musste jedoch wg. einer Quarantäneauflage in München bleiben. Oberpfalz-Medien führte mit Wolfgang Schwarz und Mikuláš Zvanovec ein Interview.
Die beiden Interviewpartner
Wolfgang Schwarz, geb. 1968 in Regensburg, studierte an der dortigen Universität Geschichte und Politikwissenschaft. 1998 beendete er nach Studienaufenthalten in Prag und Berlin seine Promotion. Die Dissertation erschien 2004 im Oldenburg-Verlag unter dem Titel „Brüderlich entzweit? Die Beziehungen zwischen der DDR und der ČSSR von 1961–1968“. Von 1999 bis 2002 war er Fachreferent für Kultur und Publikationen im Sekretariat des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds in Prag. Seit April 2002 ist er Kulturreferent für die böhmischen Länder im Adalbert Stifter Verein.
Mikuláš Zvánovec, geb. 1990 in Prag, studierte nach dem Abitur am Bischöflichen Gymnasium in Budweis Moderne Geschichte am Institut für internationale Studien der Karls-Universität Prag, wo er 2020 zum Thema “Der nationale Schulkampf in Böhmen” promovierte. Jetzt ist er an der Freien Universität Berlin, beim Comenius-Institut in Prag und als Geschäftsführer der Bernard-Bolzano-Gesellschaft in Prag tätig. Mikuláš Zvánovec verbrachte vor dem Studium 2010 ein dreimonatiges Praktikum im CeBB. Seit Jahren begleitet er als versierter und sympathischer Reiseführer die CeBB-Radtouren in Tschechien.
Wie werden in Tschechien die deutschen Spuren im Böhmerwald und im Český les wahrgenommen, wie wird mit ihnen umgegangen?
Wolfgang Schwarz:
Insgesamt hat sich der Umgang spürbar entkrampft. In den ersten 20 Jahren nach der Samtenen Revolution wurde das Thema stark politisiert und emotionalisiert. Es gibt heute viele Personen und Initiativen verschiedenster Couleur, die sich vor Ort mit dem Kulturerbe der böhmischen Deutschen beschäftigen und nicht mehr so stark wie früher gegen Widerstände kämpfen müssen. Die Gefahr, dass das Thema populistisch missbraucht wird, ist aus meiner Sicht deutlich gesunken. Was ich mir noch wünschen würde: auf nicht wenigen Webseiten von Städten/Gemeinden der erwähnten Regionen wird der Anteil der einstigen deutschsprachigen Bevölkerung an der Geschichte ignoriert bzw. nur sehr knapp oder monothematisch erwähnt.
Mikuláš Zvánovec:
Bereits vor Corona spürte man eine stärkere Vorliebe in Tschechien für das “Niedergangsdrama”, das viele Orte im Böhmerwald darstellen. Alte Kapellen, Friedhöfe, Kreuze, aber sogar auch Wege oder Aufschriften werden erneuert und die Böhmerwaldorte sind mehrheitlich bereit, ihrer oft bewegenden Geschichte würdig ihr Stirn zu bieten.
Wie kann in der jüngeren Generation das Interesse an der gemeinsamen Geschichte geweckt werden?
Wolfgang Schwarz:
Viel hängt davon ab, ob Lehrer, Dozenten, Uni-Professoren, Pädagogen etc. dieses Thema begeisternd vermitteln können, am besten verknüpft z. B. mit Exkursionen oder Thementagen. Und natürlich muss man durch die Erarbeitung entsprechender digitaler Angebote auch mit der Zeit gehen. Die Landschaft etwa des Böhmerwaldes bietet so viele Möglichkeiten, Forscherdrang zu wecken und diesen Spuren nachzugehen. Einen Teil davon spiegelt die Ausstellung wider.
Mikuláš Zvánovec:
Es sind sicherlich die Lebenserzählungen, die nach wie vor für die Jugendlichen attraktiv sind. Diese verlieren nichts an ihrer Wirkungskraft. Aber auch durch den Einsatz von “Digital Humanities” kann inhaltlich noch sehr viel erreicht werden. Hier steckt auch das große Potential, das, was alt und längst vergessen wirkt, in modernster Form aufzuarbeiten und dem jungen Publikum anzubieten.
Welche völker- und kulturverbindende Rolle fällt dabei Organisationen wie dem Adalbert-Stifter-Verein und dem CeBB zu?
Wolfgang Schwarz:
Beide Institutionen tragen seit vielen Jahren durch Kontaktvermittlung und Vernetzung im deutsch-tschechischen Bereich dazu bei, dass man nicht nur nebeneinander her arbeitet. Auch wenn es partiell unterschiedliche Aufgabenbereiche gibt, ist das Bemühen um Multiperspektivität, Empathie und Betonung von Gemeinsamkeiten in Kultur und Geschichte immer ein Kennzeichen der Arbeit von ASV und CeBB gewesen. Ich bin ein großer Europa-Sympathisant, aber bisweilen schaden auch dezidiert bilateral arbeitende Leuchttürme in der Kulturarbeit nicht.
Mikuláš Zvánovec:
Es gilt hier vor allem, die Weitsicht zu pflegen, denn diese Institutionen, die sich für internationale Verbindungen einsetzen, müssen ständig gewisse Schwankungen, Spaltungen und Probleme immer wieder in Betracht ziehen. Ihre wesentliche Rolle besteht aus meiner Sicht immer noch in der Herstellung einer Normalität in den Nachbarbeziehungen und auch darin, dieses Ziel durch Kurzstörungen nicht gefährden zu lassen.
Könnte das Grüne Band die Chance bieten, die Spuren der Vergangenheit ins Blickfeld zu nehmen, zu thematisieren. Würden die Tschechen da mitmachen?
Wolfgang Schwarz:
Die Verbindung von Ökologie und Geschichte finde ich prinzipiell sehr spannend. Ich kenne das Projekt Grünes Band nicht im Detail, aber die durch traurige Ursachen zustande gekommene ökologische Einzigartigkeit des einstigen Todesstreifens zu erhalten und mit dem Gedanken derAbsurdität des Eisernen Vorhang zu verknüpfen, fände ich interessant. Inwieweit auf tschechischer Seite daran Interesse besteht, kann ich schwer einschätzen. Ein solches Projekt kann man aber ohnehin nur in Kooperation mit Gemeinden und den dort lebenden Menschen angehen.
Mikuláš Zvánovec:
Sollten die Bestrebungen, die es im Zusammenhang mit dem Grünen Band gibt, nicht nur auf die Umwelt ausgerichtet sein, sondern auch die gemeinsame Vergangenheit stärker in den Blick nehmen, würde ich auf jeden Fall dafür plädieren, dass Tschechien darbei mitmacht. Es ist eine tolle Chance sich über die jüngste Geschichte auszutauschen.
Welche Rolle spielt das Thema gemeinsame Geschichte in der aktuellen (partei-)politischen Diskussion in Tschechien?
Wolfgang Schwarz:
Wie erwähnt denke ich, dass die Sprengkraft des Themas nachgelassen hat und zunehmend das Verbindende betont wird. In Tschechien ist mit den Kommunisten erfreulicherweise ein langjähriger Akteur verzerrter historischer Darstellungen aus dem Parlament geflogen. Auf sudetendeutscher Seite pflegt man mehr und mehr einen auch selbstkritischen, grenzüberschreitenden Dialog. Dies alles erleichtert auch den Befürwortern eines Dialogs in der tschechischen Politik die Arbeit.
Mikuláš Zvánovec:
Die Stellung zu Deutschland und Europa ist ein klassisches Thema der tschechischen Politik. Man merkt dabei, dass sich beim Umgang mit dem Thema Fragestellungen und Narrative ändern. Diskussionen über Schuld und Rache weichen teilweise sehr kritischen und komplexeren Überlegungen über die Freiheit und Entscheidungskraft des Menschen in der Vergangenheit. Auch deshalb scheint das Thema von den politischen Hardlinern immer weniger missbrauchbar zu werden.
Aufzeichnung der Vernissage




