Zwickl landet erstmals in Schönsee
Die Schwandorfer Dokumantarfilmtage „Zwickl“ schauen heuer erstmals mit einem tschechischen Filmfenster über die Grenze. Ein äußerst bereichernder Schritt, den bei der „Zwickl“ Roadshow im Centrum Bavaria Bohemia (CeBB) Filmemacher und Gäste aus beiden Ländern mit viel Applaus goutierten.
Das im letzten Jahr begonnene grenzüberschreitende Kulturstadtprojekt des Centrum Bavaria Bohemia (CeBB) mit Schwandorf im Mittelpunkt hat den Dokumentarfilmtagen “Zwickl” die Chance gegeben, Filmschaffende aus dem Nachbarland einzubeziehen. Nach der Eröffnung am Freitag mit einer Livestream-Präsentation des Eröffnungsfilms auf YouTube startete am Samstag, 2. Oktober im CeBB die Zwickl-Roadshowtour zu fünf Städten in der Oberpfalz plus Pilsen. Initiatorin Anne Schleicher eröffnete die dreistündige Präsentation der ausgewählten fünf Dokumentarfilme mit einem Riesenkompliment an die Verantwortlichen in Schönsee. Nicht nur die Zusammenarbeit mit dem zweisprachigen Team ging reibungslos über die Bühne, ja es ist noch was anderes, das sie am CeBB fasziniert: „Es ist dieser kleine Kinosaal, nichts lenkt ab von der Leinwand, ich liebe diesen Ort und Raum.“
Bis es zu den Eröffnungsworten kam, war vorab ein Riesenjob zu leisten, um erstmals ein tschechisches Filmfenster im 2012 initiierten und von der Stadt Schwandorf und Sponsoren mitgetragenen Projekt zu öffnen. David Vereš zog die Fäden im CeBB, stellte die grenzüberschreitenden Kontakte her und freute sich, die von einer Jury ausgewählten fünf Filme live zeigen zu können. Der Abend startete mit dem 21-Minuten Streifen „Die letzte erste Tanke“ von Ferdinand Hauser und Conrad Winkler. Für Ferdinand Hauser, selbst unter den Gästen, war es fast ein Heimspiel, denn während seines Praktikums vor zwei Jahren im CeBB begann er mit den Recherchen zu den Filmschauplätzen und mit ersten Dreharbeiten. Die Frage ans Publikum, wo denn die tschechische Tankstelle liegt, war für Einheimische leicht zu beantworten: „Tillyschanz natürlich“. Im Programmheft werden beide Tankstellen, die zweite liegt in Furth im Wald, als „Nicht-Orte“ apostrophiert. Was sind denn Nicht-Orte, wollte Moderatorin Anne Schleicher in der Diskussion nach dem Film von Ferdinand Hauser wissen. „Es sind Orte, die es überall in fast gleicher Konfiguration gibt, ziemlich austauschbar und mit denen man in der Regel nicht warm wird und keine Beziehung knüpft”. Außer bei der Tankstelle in Furth, die es schon in der fünften Generation gibt, der Besitzerin ans Herz gewachsen ist und bestimmt in der Familie weitervererbt wird. “Alles andere ist nicht vorstellbar”, sagt die junge Tankstellenchefin.
„Über die Natur und den Mensch“ ist der erste Programmteil überschrieben. Wie Seeschwalben unter dem Klimawandel in einem südmährischen Stauseegebiet leiden, spürte Kryštof Zvolánek in seinem Dokumentarfilm Rybak nach. Eine Filmreise voller Hindernisse mit viel Anmut. Regelrecht haarig begann der zweite Programmteil des Abends mit drei Filmen unter der Überschrift „Über Männer und Frauen“. Kann ich eine Frau sein, wenn ich meine Körperhaare einfach überall wachsen lasse, fragt die Filmautorin Josefina Lubojacki. Eher nicht und zeigt die Prozeduren des Haare Entfernens bei einem Selbstexperiment. Es tut weh und geht sehr tief. Diesen 17 kurzen Filmminuten in “Chlupy” schließt sich der mit über einer Stunde längste Dokumentarfilm an. Taťána Markovás „Libussa Unbound“ kreist um die mythische Frauenfigur, die fest mit der Geschichte von Prag und Böhmen verwoben ist. Libussa war die Stammmutter der Přemysliden, dem böhmischen Herrschergeschlecht, das Ende des 9. Jahrhunderts bis 1306 mit ein paar Unterbrechungen an der Macht war. Der Film dokumentiert, wie der Mythos der Libussa bis heute fortlebt, als Gallionsfigur bei Umzügen, in Romanen, als Märchenfee, als Mutter von Prag und mehrfach als Oper, am bekanntesten von Smetana. Der letzte Beitrag des intensiven Dokumentarfilmabends führt hinein in die historische Glashütte Lamberts in Waldsassen. Die Autorin Verena Wagner ist im Bayerischen Wald zwischen Glashütten aufgewachsen, Glas ihr Thema von Kind an. Sie nimmt die Besucher mit in die Gluthitze am Schmelzofen, überträgt den Zauber der noch flüssigen Glasmasse am Blasrohr auf die Zuschauer. Für die Arbeiter am Glasofen ist das Schwerstarbeit: Den Glaskolben aus dem Feuer nehmen, drehen, schwingen, blasen – und das wieder und wieder. Bis es ein Zylinder wird. Eine Ritze, ein kurzer Schlag und ein neuer Glaskörper verlängert die ansehnliche Reihe der Tagesproduktion. Zwischendrin Nahaufnahmen der Schweißperlen, die von den Gesichtern der beiden Glasbläser auf die tätowierten muskulösen Arme tropfen, schnell ein Bissen in der Pause, dann noch ein paar Züge an der Zigarette. Zum Schluss der Blick auf farbenprächtige, wie ein Mosaik gestaltete Fenster aus der Lamberts Produktion. Heiße Masse wird Kunst. Im Abspann als Zugabe ein ausführliches Online- Interview mit der Filmemacherin Verena Wagner.
Die nächsten Stationen der Zwickl-Roadshow sind Nittenau (8. bis 10.10.), Regensburg (15. bis 17.10.), Amberg (22. bis 24.10.), Schwandorf (27.10. bis 1.11.) und Pilsen im April 2022 im DEPOT
Video der Zwickl-Eröffnung am 01.10.2021 in Schwandorf: