Die Irrwege der tschechischen Liebe
Ich weiß, dass meine neue Freundin mich mindestens genauso sehr liebt wie ich sie. Sie lernt nämlich Tschechisch und hat sich in relativ kurzer Zeit eine beachtliche Hörverständnisfähigkeit erworben. Manchmal habe ich zwar den Verdacht, dass sie es nicht aus Liebe tut, sondern weil sie, von Eifersucht und Misstrauen geplagt, verstehen will, was ich mit charmant lächelnden Damen an Museumskassen und Eisständen plaudere, aber mit ihren Fragen zerstreut sie meine Bedenken rasch wieder. Was „ich liebe dich“ auf Tschechisch heißt, will sie zum Beispiel wissen und merkt es sich auch.
Bei ihren Tschechischstudien stößt sie zuweilen auf Merkwürdigkeiten, die mir niemals aufgefallen sind. „Was heißt denn ‚Liebe‘?“, fragte sie mich, als wir an einem heißen Augustnachmittag träge am Ufer des Badesees von Bolevec herumlungerten. Meine Antwort irritierte sie. „Láska? Warum láska? ‚Lieben‘ heißt doch ‚milovat‘ – dann müsste es eigentlich ‚laskovat‘ heißen!“
Ich geriet ins Grübeln. Warum, fragte ich mich, hatte ich nie bemerkt, dass sich im Tschechischen, anders als im Deutschen, „Liebe“ und „lieben“ nicht aus derselben Wurzel speisen? Auch überlegte ich, ob es wirklich ein Verb gibt, das von „láska“ abgeleitet ist. Das Adjektiv „laskavý“, „liebenswürdig“, kannte ich, aber „laskovat“ hatte ich noch nie irgendwo gehört oder gelesen. „Schatz“, sagte ich, „du musst dich einfach daran gewöhnen, dass die Tschechen manchmal ein bisschen komisch sind. Die Liebe und das Lieben sind für sie offenbar zwei unterschiedliche Dinge. Das Verb ‚laskovat‘ gibt‘s nämlich überhaupt nicht.“
Das Thema ließ uns keine Ruhe. Zuhause, in unserer Ferienwohnung, konsultierten wir das Wörterbuch. Als erstes stellten wir fest, dass es immerhin das Verb „laskat“ im Sinne von „liebkosen“ gibt. Dann schlugen wir weitere Referenzwörter nach, den „Liebesbrief“ zum Beispiel, und fanden „milostný dopis“, obwohl „milost“ eigentlich „Gnade“ oder „Barmherzigkeit“ bedeutet. Dies wiederum fanden wir insofern merkwürdig, als das vermeintlich zugehörige Adjektiv „milý“ auf Deutsch „lieb“ oder „nett“ heißt; wenn man hingegen „gnädig“ meint, muss man „milostivý“ sagen – keinesfalls „milostný“.
Verwirrt sahen wir einander an und beschlossen, uns erst einmal ein Bier zu genehmigen. Wir stießen auf die Liebe an, nahmen jeder einen tiefen Schluck und schwiegen nachdenklich. „Es gibt also“, rekapitulierte meine Freundin, „láska und laskat, aber laskat ist etwas anderes als lieben. Lieben heißt milovat, aber es gibt keine milá dazu.“
„Doch, gibt es. Aber das ist die Liebe in Gestalt einer Person – die Geliebte.“ „Dann bin ich also deine milá, aber nicht deine láska? Oder kann ich beides sein?“ Ich begann, mich ein wenig überfordert zu fühlen.
„Machen wir uns das Leben doch nicht unnötig kompliziert“, sagte ich. „Wir werden einfach weiterhin hierher fahren, tschechisches Bier trinken und Spaß mit unseren tschechischen Freunden haben, vielleicht wirst du auch weiterhin Tschechisch lernen – aber das tschechische Lieben … das überlassen wir doch besser den Tschechen. Findest du nicht auch, miláčku? Mein broučičku?“ Und schon saß ich wieder in der Falle.