Welche Zukunft hat das grenzüberschreitende Miteinander
Wer den Experten beim bb-talk am 22. November 2022 im Centrum Bavaria Bohemia (CeBB) zuhörte, verstand nach zwei Stunden Debatte, in welchem Spannungsfeld sich die ehrenamtlich Aktiven im grenzüberschreitenden Miteinander bewegen.
Einerseits ertrinken sie fast in den vielen selbst verantworteten Aktionen, Projekten und Engagements, andererseits müssen die gemeinnützigen Vereine als Träger ständig um Finanzierungen kämpfen, denn kommunale und staatliche Zuschüsse werden nicht längerfristig, sondern nur von Jahr zu Jahr oder zweijährig im Doppelhaushalt bewilligt. Zudem laufen die EU-Förderprogramme bis maximal drei Jahre. Wie soll bei so kurzer Laufzeit Kontinuität und Stabilität für wichtige Engagements erreicht werden, gehörte zu den Punkten, die beim 24. bb-talk im Centrum Bavaria Bohemia (CeBB) unter der Überschrift „Zivilgesellschaftliches Engagement im grenzüberschreitenden Kontext“ besprochen wurden. Das grenzüberschreitende Diskussionsformat, gefördert vom deutsch-tschechischen Zukunftsfonds, gibt es im CeBB seit 2007. Das Thema war eine passende Vorbereitung auf die Mitgliederversammlung von Bavaria Bohemia e.V. tags darauf, in der es auch um die Eigenmittel ging, die ein Verein braucht, um so ein Leuchtturmprojekt wie das CeBB seit 16 Jahren mit hoher programmatischen Qualität zu betreiben.
Die Prager Journalistin Bara Procházková führte als Moderatorin beim bb-talk hinein in die vielen Facetten des Themas. Sie konfrontierte die vier Podiumsgäste mit Fragestellungen, die Licht in die Qualität und die Zukunftssicherheit des von gemeinnützigen Vereinen getragenen grenzüberschreitenden Engagements geben. Wie wird im Verhältnis von Staat und Zivilgesellschaft agiert? Miteinander, nebeneinander oder gar gegeneinander? Legt der Staat seine Hände in den Schoß, weil ihm unermüdliche Akteure die Verantwortung bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit abnehmen? Wo liegen die Unterschiede im zivilgesellschaftlichen Engagement in Deutschland, Bayern und Tschechien? Wie sieht es mit dem Generationswechsel bei den Akteuren aus? Mit den drei Wissenschaftlern Petr Mikšíček, Karel B. Müller und Patrick Reitinger sitzt Alfred Wolf als erfahrener Praktiker, Geschichtsparkmotor und Vorsitzender von „Via Carolina – Goldene Straße e.V.” in der Grenzstadt Bärnau in der Runde.
„Die Grenze kann eine bedeutende Kulturressource sein“ sagt der am Prager Institut CEVRO forschende Professor Karel B. Müller, also ein Wachstumsfaktor. Dies bestätigen eine Reihe von Initiativen entlang der Grenze. Seine Schlussfolgerung ist aber auch, dass die deutsch-tschechischen Beziehungen beiderseits der Grenze eine höhere Institutionalisierung brauchen. Der Filmemacher, Natur- und Kulturakteur Petr Mikšíček ist seit rund 15 Jahren grenzüberschreitend aktiv. Er stößt immer wieder auf Initiativen, die Probleme haben, ihr Level und ihre Qualität zu halten. Er sieht den Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds (DTZF) als Schlüsselplayer, denn er gibt ehrenamtlichen Engagements, auch den kleinen, die notwendigen Mittel und den Zuspruch, den sie als Triebkraft brauchen. Ihn treibt weiter um, wie man die jungen Menschen grenzüberschreitend zusammenbringt. „Natürlich sind es die klassischen Schulprojekte, aber auch Facebook“. Er erzählt von seiner FB-Gruppe mit 28.000 Mitgliedern, darunter ca. 10.000 Deutsche. Dann spricht er noch das heiße Thema Loslassen an. „Ich habe herausgefunden, dass die Macher, die Initiatoren, die seit Jahren oder Jahrzehnten die Vorreiter sind, mal Abstand nehmen und die jungen Menschen vorlassen müssen. Wenn sie nur mitmachen dürfen, entfacht man in ihnen nicht den notwendigen Drive. Also es ihnen ganz überlassen.“ Für den Geografie-Historiker Patrick Reitinger, der am Leibniz-Institut für Länderkunde forscht, wie zivilgesellschaftliche Prozesse funktionieren, ist das bürgerschaftliche Engagement an seine Grenzen gestoßen. Seine Forderung, dass alle bayerischen grenzüberschreitenden Akteure nach München zur Staatsregierung gehen und gemeinsam auf die Situation aufmerksam machen, versteht er weniger als Protest sondern als Hilfeschrei, um eine längerfristige finanzielle Absicherung der Trägervereine zu erreichen. Er beobachtet die Entwicklung im Grenzraum sehr genau und konstatiert, dass grenzüberschreitend viel im kulturellen und wirtschaftlichen Bereich passiert, doch die Schulpartnerschaften und die Zusammenarbeit der Hochschulen, gemanagt von der 2016 gegründeten Bayerisch-Tschechischen Hochschulagentur, verzeichnen Rückgänge – für ihn ein Warnsignal. Publikumsgast Hans Fischer aus Neunburg v.W. gibt dem Wissenschaftler recht. Er bestätigt die Distanziertheit bei den Schulpartnerschaften, sagt aber auch, dass man den Kommunalpolitikern als treibenden Kräften sehr dankbar sein muss. Gefragt ist jetzt, die jungen Leute zu interessierten, „da fehlt es noch an Konzepten“.
Alfred Wolf spricht es in seinem Schlussstatement unverblümt an. In der Generation, die bei den grenzüberschreitenden Initiativen jetzt noch in der Verantwortung stehen, sind Leute dabei, die für ihre Projekte alles liegen und stehen lassen. „Für die Zukunft fehlt uns aber der Unterbau“. Deshalb greifen wir das Thema historisches Handwerk auf, machen Workshops, um junge Leute zu gewinnen und begeistern mit dem Festspiel, das 900 Akteure aus ganz Europa zusammenführt. „Wir haben uns im Geschichtspark fast aufgearbeitet, schließlich professionelle Strukturen aufgebaut, um die große Last vom Ehrenamt wegzunehmen“. Er bricht noch eine Lanze für das CeBB – an beiden Orten, wir in Bärnau und ihr hier in Schönsee – da wurde immens viel aufgebaut.