Wir sind wieder Nachbarn! – Erinnerungen an 30 Jahre Grenzöffnung

Das Centrum Bavaria Bohemia präsentiert in Zusammenarbeit mit der Museumsfachstelle der IKom Stiftland eine Online-Ausstellung der besonderen Art.

Was heute selbstverständlich ist war vor 30 Jahren noch unvorstellbar: offene Grenzen zwischen Ost- und Westeuropa. Wo heute das Herz Europas liegt, zerschnitt damals der Eiserne Vorhang jeglichen Kontakt. Dass ab dem 01. Juli 1990 die Grenzen geöffnet wurden grenzt noch heute an ein Wunder.

Über das Leben mit und neben der Grenze erzählt die neue Wanderausstellung „Wir sind wieder Nachbarn! – Erinnerungen an 30 Jahre Grenzöffnung“. Herz der Ausstellung sind Berichte von deutschen und tschechischen Zeitzeugen, die davon berichten, wie das Leben vor und nach der Grenzöffnung war.

Die Zeitzeugeninterviews sind in Zusammenarbeit mit dem T1 – Grenzüberschreitendes Jugendmedienzentrum Oberpfalz Nord entstanden. Die Gespräche haben die Schülerinnen und Schüler der Mädchenrealschule Waldsassen und der Základní škola Úšovice (Ortsteil von Mariánské Lázně /Marienbad) geführt.

Die Ausstellung ist ein Gemeinschaftswerk der Museumsfachstelle der IKom Stiftland mit den Museen im Landkreis Tirschenreuth in Grenzlage (Gelebtes Museum Mähring, Stiftlandmuseum Waldsassen, Deutsches Knopfmuseum Bärnau, Geschichtspark Bärnau-Tachov, Sengerhof Bad Neualbenreuth) und dem Stadtmuseum Marienbad.

Ihre erste Station hätte die Sonderausstellung im Gelebten Museum in Mähring gehabt, wo am 01. Mai die großen Feierlichkeiten zu 30 Jahre Grenzöffnung stattfinden sollten (hier fand 1990 zuerst eine Probegrenzöffnung am 30. April und 1. Mai statt, bei der über 20.000 Menschen diese Tage für einen Besuch des Nachbarlandes nutzten). Anschließend wäre die zweisprachige Ausstellung weiter zur Europa-Woche nach Waldsassen, nach Bärnau und auch nach Tschechien gewandert.

Das Projekt wurde aus EU-Mitteln des Ziel-ETZ-Programms Freistaat Bayern-Tschechische Republik 2014-2020 (INTERREG V) gefördert, die über den Dispositionsfonds der EUREGIO EGRENSIS ausgereicht werden.

Weitere Informationen unter www.daszwoelfer.de


Pfarrer i. R. BGR Siegfried Wölfel


Was bleibt von der ersten Euphorie?

30 Jahre nach der Öffnung der Grenze ist sie im Jahr 2020 das erste Mal wieder geschlossen. Schuld ist nicht die Politik, sondern ein Virus. Für viele deutsche Firmen bedeutet dies tiefe Einschnitte. Viele tschechische Beschäftigte pendeln täglich über die Grenze.

Dank moderner Medien ist der Austausch aber weiter möglich. Es gibt viele Freundschaften, die sich bis heute erhalten haben. Einrichtungen wie der deutsch-tschechische Stammtisch, die Förderung von gemeinsamen Projekten und Städtepartnerschaften unterstützen das Zusammenwachsen.

Trotzdem gibt es noch immer Vorurteile. Auch die Sprachbarriere ist weiter ein Problem. Viele Tschechen sprechen Deutsch. Die Bereitschaft Tschechisch zu lernen ist gering.

Die Jahrzehnte der Trennung haben ihre Spuren hinterlassen. Nach 30 Jahren ist die Euphorie dem Alltag gewichen. Manche Partnerschaften sind stärker geworden, andere haben sich wieder gelöst. Aber immer wieder gibt es Menschen, die neue Initiativen anstoßen.


Grenzübergang Waldsassen – Eger

Zwischen Waldsassen und Eger gab es bereits seit der Gründung des Klosters im 12. Jahrhundert rege Kontakte. Das waren einerseits Streits um Gebiete und Zuständigkeiten. Gleichzeitig war es für die Waldsassener und Egerer Bevölkerung selbstverständlich, in der nur 10 km entfernten Stadt einkaufen zu gehen. Genauso besuchten sie dort weiterführende Schulen. Einen Riegel schob erst der Eiserne Vorhang ab 1945 vor.

Bei der Öffnung des Übergangs Hundsbach am 1. Juli 1990 waren über 30.000 Menschen unterwegs. Zu Fuß, mit dem Rad oder dem Mofa erkundeten sie das Nachbarland. Bei den offiziellen Feierlichkeiten waren neben den Bürgermeistern aus Waldsassen und Eger auch der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, sein Amtskollege aus der Tschechoslowakei Jan Langos und Bayerns Innenminister Edmund Stoiber vor Ort.

Schnell entwickelte sich eine Zusammenarbeit zwischen den beiden Städten. Die offizielle Städtepartnerschaft besiegelte das am 17.01.2015. Das Oberzentrum Waldsassen-Cheb (Eger) entstand.


Grenzübergang Mähring – Broumov

Mähring war durch seine Lage besonders vom Eisernen Vorhang betroffen. Der Zugang zum Ort war nur noch von einer Seite aus möglich. Dahinter war für die Bewohner „die Welt zu Ende“. Bereits 1986 gründete sich die „Interessensgemeinschaft zur Wiedereröffnung des Grenzüberganges Mähring“. Sie hatte besonders die wirtschaftlichen Vorteile im Blick. Etwa 4500 Unterschriften sammelte sie für eine baldige Öffnung der Grenze. Die tschechoslowakische Gemeinde Broumov hatte ebenso großes Interesse. So kam es bereits im Februar 1990 zu einem ersten Treffen am Schlagbaum. Zur Vorbereitung der Probegrenzöffnung durften sich Abordnungen aus beiden Ländern ohne Visum besuchen.

Am 30. April und 1. Mai 1990 kamen über 30.000 Menschen beidseits der Grenze zusammen. Mähring und Broumov waren im Ausnahmezustand und erste Freundschaften entstanden schnell. Bis zur endgültigen Öffnung der Grenze am 01. Juli 1990 trafen sich die Freunde jeden Sonntag am Schlagbaum. Kurze Zeit später fand die erste grenzüberschreitende St. Anna Wallfahrt statt, die bis heute weitergeführt wird.


Grenzübergang Bärnau – Tachov

Die goldene Straße verband im Spätmittelalter die Städte Nürnberg und Prag. Sie führte über Bärnau und Tachov, die seither ein wichtiger Knotenpunkt im bayerisch-böhmischen Grenzland waren. Reger Austausch und Handelsbeziehungen waren an der Tagesordnung. Ein Ende fanden sie erst mit der Errichtung des Eisernen Vorhangs und der Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung. Viele siedelten sich nur wenige Kilometer vom früheren Wohnort entfernt in Bärnau an.

Die erste Probeöffnung am 19. Mai 1990 zog über 30.000 Menschen an. Endlich konnte man die frühere Wohnstätte und die Gräber der Familie besuchen. Im Vordergrund stand der Austausch mit den tschechischen Nachbarn. Schnell entstanden Schulpartnerschaften. Der Streit um eine Städtepartnerschaft führte jedoch dazu, dass nie eine zustande kam. Trotzdem ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Bärnau und Tachov in verschiedenen Projekten sichtbar. Nach der Öffnung der Grenze am 1. Juli 1990 gab es lange Diskussionen, bis endlich auch der motorisierte Verkehr erlaubt wurde.


Bad Neualbenreuth

Rund um Bad Neualbenreuth gab es über Jahrhunderte eine Besonderheit. Das sogenannte Fraischgebiet gehörte gleichzeitig zur Stadt Eger und zum Stift Waldsassen. Bis 1844 wechselten diese Orte jährlich die Zugehörigkeit. Erst 1862 endete diese Vereinbarung mit dem Grenzvertrag zwischen Österreich und Bayern. Trotzdem blieben die Handelsbeziehungen und das Schmuggeln über die Grenze an der Tagesordnung.

Erst mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gab es einen Bruch. Stacheldraht und Panzersperren verhinderten jeglichen Kontakt. Am 14. April 1990 gab es ein erstes Freundschaftstreffen von Bewohnern von Lipová und Neualbenreuth. Die Grenze bei Neualbenreuth sollte nicht für den Verkehr freigegeben werden. Durch Einsatz der Bevölkerung öffnete aber am 01.01.1995 der grenzüberschreitende Wanderweg. Bis heute ist die Grenze hier nur für Fußgänger und Fahrradfahrer geöffnet. Für Landwirte gibt es Sondergenehmigungen, wenn sie Grund in Tschechien gepachtet haben.


Erste Annäherungen

Schon Monate vor der Grenzöffnung begannen die Menschen auf beiden Seiten der Grenze erste Kontakte zu knüpfen. Sie wollten die Chance nutzen: vom Ende der Welt in das Zentrum Europas. Schnell entwickelten sich nach am 01. Juli 1990 Schulpartnerschaften. Feuerwehren und Sportvereine veranstalteten gemeinsame Übungen und Wettbewerbe. Mit Sprachkursen und Gruppenreisen sollten Berührungsängste abgebaut werden.

Viele Vertriebene nutzten die Gelegenheit ihren Heimatort und Friedhöfe zu besuchen. Im Kommunismus waren viele Kirchen dem Verfall preisgegeben worden. Bekanntestes Beispiel ist die Wallfahrtskirche Maria Loreto. Heute erstrahlt sie in neuem Glanz und steht für deutschtschechische Freundschaft.

Eine Besonderheit ist der deutsch-tschechische Stammtisch in Eger. Seit 2000 treffen sich jeden ersten Montag im Monat Interessierte beidseits der Grenze zu einem unverbindlichen Austausch. Hier sind langjährige Freundschaften entstanden.


Leben an der Grenze

Offiziell wurde der Eiserne Vorhang als Schutz gegen die „Westfeinde“ bezeichnet. Eigentlich sollte er aber die Bevölkerung an der Flucht aus der Tschechoslowakei hindern. Die 356 km lange Grenze zur BRD war ab 1948 streng bewacht. Die ein bis zwei km breite Sperrzone durfte nur noch die Grenzwache betreten. Alle Gemeinden in der Sperrzone wurden ausgesiedelt, die Häuser meist zerstört. In der bis zu 12 km umfassenden Grenzzone lebten nur systemtreue Personen. Ausgestattet mit Stacheldraht, Fallen mit Signaleinrichtung, Beobachtungstürmen und Minenfeldern war ein Grenzübertritt fast unmöglich. Mit „falschen“ Grenzen gaukelte man Flüchtigen vor, bereits auf deutschem Boden zu sein. Dort befragten die scheinbar westlichen Grenzpolizisten sie nach weiteren Personen, die eine Flucht planen.

Von deutscher Seite schien die Grenze ruhig und ungefährlich. Der Verlauf war nur durch Grenzsteine markiert. Die Zäune verliefen erst einige km im Hinterland. Die bayerische Grenzpolizei wies deshalb mit Flugblättern und Führungen auf die Gefahren hin. Es drohte eine Verhaftung beim unerlaubten Grenzübertritt.


Endlich wieder Nachbarn

Nach 45 Jahren Leben an der geschlossenen Grenze hatten die Menschen in Deutschland und der Tschechoslowakei schon fast nicht mehr an eine Öff nung geglaubt. Der Landkreis Tirschenreuth war von der Mitte Europas an den Rand gerückt. Der Weg und jeglicher Kontakt waren versperrt. Heute, 30 Jahre nach der Öff nung, hat sich viel verändert. Die Fahrt zwischen den beiden Ländern ist ohne Kontrollen möglich. Freundschaften und gemeinsame Projekte sind entstanden. Aber noch immer ist viel zu tun, um den Austausch der Menschen aus beiden Ländern zu stärken. Diese Wanderausstellung soll einen Blick zurückwerfen, auf diese bewegenden Jahre, die die Region so sehr geprägt haben. Menschen erzählen von ihrem Leben mit und ohne die geschlossene Grenze.